Früh von Saalau nach Insterburg gefahren. In Insterburg zuerst die schöne, aussen schlichte, innen polnisch reiche Kirche besucht. Die Russen sind am Freitag Nachmittag aus Insterburg ausgerückt. Eine Frau in Georgenburg, die wir fragten, wie die Russen durchgekommen seien, sagte, der Schweiss sei ihnen immer nur so heruntergelaufen. Ein russischer Offizier habe zu ihr gesagt: Sehen Sie, gute Frau, wie wir schwitzen müssen! Sie seien immer im Laufschritt auf der Chaussee fortgelaufen. In Insterburg wurde uns erzählt, Rennenkampf sei Freitag Nachmittag noch nach Insterburg gekommen, vor seinem Hotel in Uniform vorgefahren und dann in Civil im Auto nach der Grenze fortgefahren. Ein Trupp Gefangener kam durch, während wir frühstückten. Auf dem A.O.K., das im Deutschen Hause ist, sagt man 30 000 Russen seien sicher gefangen, die Übrigen hoffe man noch zu fangen: zwei Kavalleriedivisionen mit Maschinengewehren und Artillerie seien hinten herum, man habe aber keine Nachrichten, da jede Verbindung fehle. Der Umfang unseres Sieges lässt sich daher noch nicht übersehen. Geplündert haben die Russen in Insterburg wenig oder garnicht, die Mannschaften weniger als die Offiziere. Überall stehen in Insterburg noch Rennenkampfs Proklamationen angeschlagen, kommentiert durch die des von ihm eingesetzten Gouverneurs Dr Bierfreund. Dieser stellte sich mir auf der Strasse vor und fragte nach Nachrichten; nach seinen ziemlich larmoyanten Proklamationen eine nicht sehr sympathische Erscheinung. Wir frühstückten mit Schell, der meint, wir kämen nach Schleswig Holstein, wo die Engländer im Bunde mit den Dänen eingefallen seien. Letzteres glaube ich nicht. – Wir heissen jetzt das Garde Reise Korps. – Als wir aus Insterburg fortfuhren, kam uns ein Landwagen mit zwei Bauern entgegen, auf dem vorne neben dem Fahrer ein junger russischer Infanterist sass. Er hatte sich ihnen ergeben, und sie fuhren ihn nach Insterburg zum Generalkommando. Hinten im Wagen lagen sein Gewehr u Tornister. Er sah sehr vergnügt aus, so bequem über Land zu fahren und endlich gefangen zu sein. – In Saalau Nachts mein Oberfeuerwerker an, der mir sagt, dass sein Auto einen weiten Umweg habe machen müssen, weil vor ihnen im Walde fünfzig Kosaken gemeldet worden seien; auch Maraudeure natürlich. Unten im Dorf soll heute Nacht ein Schweizer verhaftet worden sein, der den Russen Spionen Dienste geleistet hat. Dass sie so schnell fortgekommen sind, wird hier allgemein der rechtzeitigen Benachrichtigung ihrer Truppen durch hiesige Spione zugeschrieben.
14 Sept 1914 Montag. Insterburg
Tagebucheintrag Harry Graf Kessler
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