Die Frauen im Sonntagsstaat zur Kirche gehend; leuchtende reine Farben ihrer Kleider, Streifen von hellem Safranrot, Grün, Kirschrot, Purpur, Citronengelb in orientalisch reichen Zusammenstellungen: eine wahre Augenweide, namentlich bei den hübschen Gesichtern. Übrigens sind die Meisten in dieser Gegend blond und blauäugig. Aber die beiden jungen Frauen in unserem Hause verbrachten mehrere Stunden gestern beim Ablausen der alten Mutter. Sie leben mit ihren Gedanken ganz in einer phantastischen, von allerlei Heiligenmärchen und bunten Farben bevölkerten jenseitigen Welt; den Schmerz und die Schäden des Diesseits anders als oberflächlich zu beseitigen, erscheint ihnen überflüssig. – Nach Tomaszów gefahren. Unser Kutscher (junger Pole aus dem Dorf) lüftet die Mütze vor jedem der zahlreichen Krucifixe und Heiligenbilder am Wege. – Abends bringt mir mein Futtermeister Utermarck, den ich Hafer kaufen zu Zedlitz nach Rzeczyca geschickt hatte, von Zedlitz und Stolberg aus dem Generalkommando die Nachricht, dass unsere Sache vorne sehr gut stehe; wir seien heute zwei russischen Corps direkt in die Flanke gefallen und hätten viele Gefangene gemacht. Das Generalkommando bleibt in Rzeczyca, ebenso das A.O.K. das schon nach Petrikau übersiedeln wollte, in Konskie. Gegen sechs, bei Dunkelwerden starker Feuerschein nordöstlich. – Nachts kam Befehl zum Munitionsersatz dringend von der Front. 16 Wagen geschickt.
25. Oct. 1914. Sonntag Spala
Tagebucheintrag Harry Graf Kessler
Foto: DLA