Ihre Grundsätze legt die AAA in einem Leitbild und einer Stellungnahme zu den langfristigen Zielen der Vereinigung dar. Darin verschreibt sich die Gesellschaft der Förderung des öffentlichen Verständnisses der Menschheit, der Verbreitung anthropologischer Inhalte und der Verbesserung professioneller Zunftstandards. All das ist nicht überraschend und klingt wenig spektakulär. Womit der Vorstand nicht nur die Kritik von Teilen der Mitgliedschaft, sondern auch der Öffentlichkeit auf sich zog, waren die Streichungen und Änderungen am langfristigen Strategieplan. Dieser zitiert in einer Art Präambel das Leitbild in exaktem Wortlaut und eben dieses Zitat wurde durch einen Beschluss auf der jüngsten Mitgliederversammlung am 20. November 2010 abgeändert.
Bereits während der Jahrestagung der AAA vom 17. bis 21. November bezog die Society for Anthropological Sciences (SAS) kritisch Stellung und forderte eine Revision der Änderungen, da diese „die Grundsätze und den Daseinszweck der Gesellschaft fahren lassen und den eigenen Mitgliedern die Unterstützung entziehen“. In einer Nachricht des Präsidenten der Gesellschaft, Peter Neal Peregrin, vom 23. November, wurde deutlich, dass sich der Ärger vor allem an der dreimaligen Streichung des Wortes „Wissenschaft“ (science) aus der Präambel entzündete, das nun gar nicht mehr darin vorkommt.
Leider wird der Begriff science so unterschiedlich ausgelegt, dass eine Verwirrung und die Diskussionen darum schon fast unausweichlich sind. Man kann science generell als Wissenschaft übersetzen. So werden Naturwissenschaften als natural sciences bezeichnet und den social sciences gegenübergestellt. Oft aber wird unter science jedoch nur Naturwissenschaft verstanden. Dadurch wird den anderen Zweigen die Wissenschaftlichkeit sprachlich quasi entzogen. Im Grunde geht diese Debatte um die Wertigkeiten quantitativer vs. qualitativer Methoden.
Der Ärger von Anthropologen, die sich den exakten Methoden verschrieben haben, wurde von mehreren Wissenschaftsblogs aufgenommen. Offensichtlich bestanden längst Gräben zwischen Mitgliedern der AAA, die vornehmlich geistes- oder naturwissenschaftlich arbeiten. Dabei wurde mitunter dick aufgetragen. Die Vertretung der Anthropologie werde von einer Riege von „Wirrköpfen“ an sich gerissen, der es nicht um die seriöse Erforschung der Menschheit gehe, sondern allein darum, sich selbst als politische Aktivisten im Kampf für benachteiligte Bevölkerungen und Bevölkerungsgruppen in Szene zu setzen (Alice Dreger auf „Psychology Today“). Hinter der Ausblendung exakter Methoden witterten Autorinnen und Autoren mangelnde Fachkompetenz und gar die Absicht, Fakten frei bestimmen zu können. Einige Forschende fühlen sich durch eine Generation radikalisierter Studierender bedroht, welche für Missetaten von Anthropologen während Kolonialismus und Rassenpolitik Rache am eigenen Fach nehmen wollen (Peter Wood auf „The Chronicle of Higher Education“). Außerdem schwele ein postmoderner Hass auf Wissenschaft und ihre Stellung in der Gesellschaft (Dan Berrett auf „Inside Higher ED“).
Am 1. Dezember schloss sich die Arbeitsgruppe Biologische Anthropologie der AAA dem Protest der SAS an. Zwei Tage später reagierte der Vorstand mit einer Erklärung an die Mitglieder, in der die Notwendigkeit der Umformulierungen begründet wurde. Angesichts eines Wandels in der Zusammensetzung der Gesellschaft habe der ursprüngliche Text nicht mehr die gesamte Mitgliedschaft repräsentiert. Gleichzeitig beklagte der Vorstand, in diversen Blogs sei die Angelegenheit unnötig hochgespielt worden, was eine interne Auseinandersetzung nicht unterstütze. Allerdings waren die Blogger zu einem großen Teil selbst Mitglieder der AAA, die offensichtlich das Gefühl hatten, in den eigenen Reihen nicht gehört zu werden (was sie am 10. Januar in einem offenen Brief auch mitteilten).
In einem wahren Lehrbeispiel modernen Jounalismus' übernahm die New York Times am 9. Dezember das Thema aus der Bloggosphäre und widmete ihm einen Beitrag. Gleichzeitig diskutierte Peter Neal Peregrin im öffentlichen Rundfunk mit dem AAA Vorstandsmitglied Hugh Gusterson. Der interne Disput war zu einem Medienereignis geworden.
Betrachtet man die eigentlichen Änderungen am Langzeitplan, so wird deutlich, dass diese allenfalls der Anlass des Disputs waren, kaum aber dessen Ursache. Das Wort „Wissenschaft“ (science) wird recht vage durch „öffentliches Verständnis“ ersetzt und „Wissenschaften“ (sciences) durch „Wissensdisziplinen“ (knowledge disciplines). Die Absicht dahinter ist wohl, jene Mitglieder, die nicht mit naturwissenschaftlichen Methoden arbeiten (also die deutliche Mehrheit) nicht auszuschließen. Allerdings zeigt vor allem die zweite Wortschöpfung, wie schnell der Gesellschaft in der Beschreibung ihres tatsächlichen Umfeldes die Begriffe ausgehen.
Zu den bereits zuvor genannten Unterdisziplinen der Anthropologie – Archäologie, Physische bzw. Biologische Anthropologie, Ethnologie und Linguistik – werden noch Soziale, Ökonomische, Politische, Historische, Medizinische und Visuelle Anthropologie hinzugefügt und „Ethnologie“ durch „Kulturanthropologie“ ersetzt. Während zuvor die Mehrung und Verbreitung anthropologischen Wissens angestrebt wurde, spricht die Präambel nun von „Wissen, Fachkompetenz und Interpretation“. An dieser Stelle hatte es offensichtlich Diskussionen gegeben, die Kompromisse forderten. Neben der Forschung werden nun auch Lehre und Praxis als Wirkungsweisen der Gesellschaft definiert. Letzteres bezieht sich auf die wachsende Zahl von Anthropologinnen und Anthropologen, welche die Erkenntnisse ihrer Forschung für ein soziales Engagement in den von ihnen untersuchten Gesellschaften verwenden. Gemeint sind u. U. aber auch jene Forschenden, welche Wirtschaftsunternehmen oder staatlichen Stellen (z. B. der US-Armee bei ihren Auslandseinsätzen) mit kommerzieller Beratung zur Seite stehen. Solche Tätigkeiten hatten in der Vergangenheit zu Konflikten innerhalb der AAA geführt.
Insgesamt machen die Änderungen deutlich, dass man zwar mit der alten Formulierung nicht mehr leben möchte, allerdings auch keine klar artikulierte Vorstellung von den neuen Herausforderungen hat. Der jetzige Text wirkt wie eine Verlegenheitslösung, die alles einschließt, aber sich auf nichts festlegt. Hier wäre jene interne Diskussion unter Gesellschaftsmitgliedern notwendig gewesen, die von Kritikern des Dokumentes vermisst worden ist. In der Tat ist es sonderbar, dass zwar die Präambel der langfristigen Absichten geändert wurde, nicht aber das – bisher wortgleiche – Leitbild der Gesellschaft, welches nach wie vor von Anthropologie als einer Wissenschaft spricht. Dieses hätte vom Vorstand nur durch größere Einbeziehung der Mitglieder geändert werden können, was ihn in den Verdacht setzt, aus Angst vor Konflikten mit Teilen der Mitgliedschaft, eine Auseinandersetzung heimlich umgangen zu haben.
Am 9. Januar bemühte sich Hugh Gusterson in einem Blogbeitrag im „Chronicle of Higher Education“, die Wellen zu glätten. Der AAA-Vorstand sei sich nicht bewusst gewesen, wie viel Bedeutung dem Wort science beigemessen werde. Er kündigte eine weitere Änderung des Langzeitplans und eine damit verbundene Rückkehr der Wissenschaft an. Außerdem erinnerte er an harte Auseinandersetzungen der 90er Jahre, die als „Wissenschaftskriege“ in die Geschichte eingegangen sind. Damals wurden Anthropologen gezwungen, sich für oder gegen (Natur-)Wissenschaft auszusprechen – ein Konflikt der heute hoffentlich überwunden sei.