2004 gab es anlässlich des 100-jährigen Jubiläums der Jahrhundertsausstellung primitifs français (12.04-14.07. 1904 im Pavillon de Marsan und der Bibliothèque nationale) eine Ausstellung im Louvre (Primitifs français. Découvertes et rédecouvertes vom 27.02.-15.05. 2004), deren Ziel es war, die bedeutendsten Werke zusammenzutragen, die 1904 unter der Leitung von Henri Bouchot in Paris versammelt wurden. 2004 standen vor allem die heute sehr viel besser bekannten Maler Enguerrand Quarton, Barthélemy d’Eyck und Jean Poyer mit Hauptwerken der französischen Tafelmalerei des 15. Jahrhunderts im Zentrum der Aufmerksamkeit, für die Ausstellung von 1904 wurden aus nahezu allen französischen Provinzen die Werke zusammengetragen.
Selbst Enguerrand Quartons berühmte Marienkrönung, die ihren leer geräumten Ausstellungsraum in Villeneuve-lès-Avignon (im Musée Pierre de Luxembourg) sonst nie verlässt, hat man 1904 nach Paris geholt und neben dem zweiten Hauptwerk des Malers, der Pietà (heute im Musée du Louvre) präsentieren können, auch wenn beide Werke damals noch nicht als die wichtigsten ein und desselben Malers erkannt waren. So bedeutende Bilder wie die Verkündigung von Barthélemy d’Eyck (die dazugehörigen Flügel sind heute in Brüssel und Rotterdam), die in Aix-en-Provence selbst seit mehreren Jahren in einer etwas dunklen Kirchenkapelle aufbewahrt wird, sind erst 2004 wieder in Paris einem größeren Publikum vorgestellt worden.
Im selben Jahr war auch die große Ausstellung Paris 1400. Les arts sous Charles VI (26.03-12.07. 2004 im Musée du Louvre) zu sehen, die eine beeindruckende Materialfülle versammelte, aber – wie der Titel schon verrät – im Kern der reichen Kunstproduktion in der französischen Hauptstadt gewidmet war.
Ein Großteil der 1904 vor allem aus der Provinz nach Paris gebrachten Werke sind naturgemäß schnell wieder aus dem Blick der überregionalen Forschung verschwunden; so bahnbrechende Künstler wie Jean Fouquet hat man seit 1904 hingegen nicht mehr losgelassen. Die letzte große Ausstellung zu Fouquet (Jean Fouquet, Peintre et enlumineur du XVe siècle, 25.03.-22.06.2003 in der Bibliothèque nationale, Site Richelieu) hat gezeigt, dass man sich auch unter Kennern noch lange nicht einig über das seit nun mehr als 100 Jahren diskutierten Werks des Malers ist. Das konstante Interesse aber hat sich ausgezahlt, denn nur wenige Werkgruppe sind so gut analysiert und haben auch so viel Kenntnis über Werkstattprozesse geliefert, wie die Handschriften aus dem unmittelbaren Umfeld Fouquets, zu dem es fast keine historischen Quellen gibt (z.B. im Vergleich zu den Werkstätten der Burgunderherzöge in Dijon, die sehr genau z.B. über die Rechnungsbücher konturiert wurden; für die französische Buchmalerei i.A. bleibt der Katalog von Avril und Reynaud von 1993 maßgebend).
Die großen Ausstellungen schärfen auch das Interesse für detaillierte Einzelstudien; so haben Millet und Rabel ganz frisch eine umfangreiche Studie zur Schutzmantelmadonna aus dem z.Z. geschlossenen Musee Crozatier vorgelegt, die das ikonografisch anspruchsvolle Werk des frühen 15. Jahrhunderts aus verschiedenen Perspektiven und mithilfe neuester Untersuchungsmethoden präsentiert. Das ist umso erfreulicher, da die im Katalog von 1904 als Nr. 28 aufgelistete Tafel bereits wenige Jahrzehnte nach der großen Ausstellung wieder aus dem Blick der überregionalen Forschung verschwand.
An die heute nicht mehr zu erreichende Fülle, die 1904 in Paris zu bestaunen gewesen sein muss, wird in den Vorworten der Ausstellungskataloge (von denen hier nicht alle aufgezählt werden können) oft erinnert; sicher auch mit dem Ziel, sich in der anzustrebenden Nachfolge der wichtigen Arbeit von Bouchot zu verstehen.
Einige der so selten zu beschauenden Werke, die sich heute nicht mehr so ohne weiteres in einem Ausstellungsraum zusammenbringen lassen, findet man stattdessen in den zahlreichen Datenbanken (für die frz. Sammlungen v.a. die Verbunddatenbanken Joconde und Enluminures) und Großprojekten wie Europeana und sind – mit einigem know how – für den Benutzer in der Datenbank des Europäischen Bildgedächtnisses sogar auffindbar. Vergleichbar ist die Suche dort vielleicht mit dem Erlebnis der Beistegui-Madonna im Louvre. Weil sie wegen alter Besitzverhältnisse nicht bei der burgundischen und Pariser Malerei um 1400 hängt, sondern im Sammlungskontext neben französischer Malerei von Fragonard bis Meissonier gezeigt wird. Auch Fragen zum Umgang mit dem Medium stellen sich hier auf eine neue, andere Art.