Was der Louvre zur Zeit in fein aufgereihten Einzelblättern vor dunkelrotem Grund seinen Besuchern entfaltet, gehört – man gestatte den mitschwingenden Pathos – zu einem bezaubernd seltenen Anblick, den man nun endlich auch einmal in Europa genießen darf.
47 wunderbare Doppelblätter der famosen Belles Heures des Herzogs von Berry (an dieser Stelle darf man sich nicht über die beidseitig bemalten Blätter ärgern angesichts der prachtvollen Fülle an dem, was es sonst zu bestaunen gibt) sind im Augenblick in den Räumlichkeiten des Louvre zu sehen und jeder Museumsbesucher, der bisher die Begeisterung für die winzigen, zwischen Pergamentlagen und Buchdeckeln versteckten Bilder noch nicht recht nachvollziehen konnte, sollte hier staunend verweilen.
Nun hat man dieses Meisterwerk französischer Hofkunst der Spätgotik seines geheimnisvollen Charmes, wie ihn Millard Meiss in seinen heute historischen Bänden zur Kunst der Zeit des Herzogs von Berry vorführte, „entblättert“ und die reizenden Miniaturen der drei Brüder haben nichts an ihrer immensen Wirkmacht verloren.
Als Quereinsteiger würde man die Brüder, die eigentlich als Goldschmied-Lehrlinge aus dem holländischen Nijmegen nach Paris kamen, heute bezeichnen und es mag gerade ihre jugendlich-frische Unbefangenheit im Umgang mit der bereits um 1400 international renommierten Pariser Buchmalerei und ihren Standards gewesen sein, die sie zu den herausragendsten Künstlern ihrer Zeit aufsteigen ließen. Ihr unvollendetes Meisterwerk – die Très Riches Heures in Chantilly – gehören vor allem wegen der grandiosen Kalenderminiaturen zu den am meisten reproduzierten Werken überhaupt und dennoch: tritt man im Louvre vor die wunderbar ausgeleuchteten Blätter ihres ersten Hauptwerks, die Belles Heures, so kann man sich beinahe nichts Schöneres, Zarteres, Lebendigeres denken, was sich an malerischer Brillanz aus dem französischen 15. Jahrhundert erhalten hätte. Man stolpert hier über die ausgenommen lebendige Pinselführung und viele feine Korrekturen, die das Bild der eher aus Reproduktionen bekannten Malerei der Künstler neu belebt.
Während man die Belles Heures gewissermaßen entlang des Raumes abschreiten kann, ist das Zentrum einem klugen Gedanken gewidmet: Das Parement de Narbonne und der Kopf aus Mehun sind einander gegenübergestellt und deuten den historischen Rahmen an, der aber auch die Schnittstellen hinweist. Denn die Ergänzungen der Limburgs in den Très Belles Heures des Herzogs von Berry und in die Petites Heures sind hier zu sehen, die sich wie farbliche Brillanten in den altertümlichen Dekor der beiden Handschriften fügen (wobei das Reisegebet in den Petites Heures eine zeitgenössische Ergänzung im Stil des älteren Buchkorpus ist).
Gerade weil die heute kostbar gehüteten Schätze so selten gezeigt werden und nur die wenigsten Forscher sie überhaupt einmal blättern durften, ist die Ausstellung ein einmaliges Erlebnis. Was auch die neueste Faksimile-Technik nicht nachzubilden vermag, ist die ungeheure Sensibilität und Lebendigkeit der modellierten, fast vibrierenden Oberfläche, die erst im zweiten Schritt zu kühnen Deutungen anregt. Das Erlebnis hingegen ist einzigartig und zeigt zugleich, wie weit diese Präziosen doch trotz ihrer ständigen Reproduktion dem Betrachter eigentlich entfernt bleiben.
Man hätte sich bei all der Pracht auch gewünscht, auch die neu erworbene Pietà aus Vic-le-Comte neben dem Werk der Limburgs sehen zu dürfen, um auch den Blick auf die Forschung zur burgundischen Malerei um 1400 zu lenken, die zuletzt in den großen Ausstellungen von 2004 (Cleveland und Dijon) dem Publikum präsentiert wurde, ohne hingegen die festgesetzten Debatten um die eigentlichen Hauptwerke wirklich neu zu beleben. Auf diese Enthüllung im Louvre wird man hingegen noch warten müssen.
Begleitet wird die Ausstellung von einem Katalog in ungewöhnlich kleinem Format, das aber – ein kleines Spiel der Ausstellungsmacher – die Dimensionen der Belles Heures wiederholt und zu dem bereits 2010 veröffentlichten Untersuchungen von Timothy Husband, der die New Yorker Ausstellung vor zwei Jahren kuratierte, auch neue Ansätze zur Kunst um 1400 und der Nachfolge der Limburgs präsentiert, sowie eine Besprechung der mit Zeit und Ort verbundenen Zeichnungen des hauseigenen département des Arts graphiques, die leider keinen Platz in der Ausstellung fanden.
Die Ausstellung „Les Belles heures du duc de Berry“ läuft ist vom 04.April – 25. Juni 2012 im Louvre, Salle de la Chapelle, zu sehen, der Ausstellungskatalog (448 S.) ist bei Somogy erschienen.