Dieser Beitrag ist aus der Sicht eines Stipendiaten geschrieben, der an einer deutschen Universität in einem von der Gerda Henkel Stiftung finanzierten Drittmittelprojekt arbeitet. Bei Drittmittelprojekten verpflichten sich Universitäten, den durch die Stiftung bezahlten Stipendiaten die sogenannte „Grundausstattung“ zur Verfügung zu stellen. Diese Grundausstattung besteht heute im Wesentlichen aus einem Büroarbeitsplatz mit Computer. Der Verfasser schildert eine Reihe von „kleinen Diskriminierungen“, denen Stipendiat_innen im Universitätsalltag ausgesetzt sind und argumentiert, dass Stiftungen künftig auch rechtliche Gleichstellung als „Grundausstattung“ in den Verträgen mit Universitäten einfordern sollten.
Die kleinen Diskriminierungen des Alltags – warum Stiftungen Promotionsstellen anstatt Promotionsstipendien finanzieren sollten
Pamphlet aus der Sicht eines Promovierenden, der in einem von der Gerda Henkel Stiftung finanzierten Drittmittelprojekt an einer deutschen Universität arbeitet
Bild: Women's Suffrage Parade in New York City, May 6, 1912. United States Library of Congress, PD (copyright expired), https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Feminist_Suffrage_Parade_in_New_York_City,_1912.jpeg
Vorrede
Mein Beitrag beruht dabei allein auf meinen Erfahrungen aus bisher 32 Monaten Arbeit als Promotionsstipendiat in einem von der Gerda Henkel Stiftung finanzierten Drittmittelprojekt an einer deutschen Universität. Der Beitrag ist damit natürlich subjektiv. Es würde mich daher freuen, wenn andere Stipendiat_innen mit oder ohne Projketmitarbeiterstatus ihn durch die Nutzung der Kommentarfunktion ergänzen würden. Mir ist bewusst, dass Stipendiat_innen in Drittmittelprojketen mit Büroarbeitsplatz gegenüber Einzelstipendiat_innen und erst Recht gegenüber Promovierenden ohne Stipendium privilegiert sind. Das darf aber m.E. nicht verhindern, dass rechtliche Diskriminierung auch im Kleinen aufgezeigt wird.
Bekannte Nachteile von Stipendien - und die versteckten "kleinen Diskriminierungen des Alltags".
Es gibt viele gewichtige Gründe, warum Stiftungen wie die Gerda-Henkel-Stiftung nicht Stipendien, sondern Stellen gemäß der Tarifverträge der Länder finanzieren sollten. Gut bekannt ist, dass Stipendien viele Nachteile mit sich bringen. Stipendiat_innen sind beispielsweise nicht sozialversichert, sorgen damit nicht fürs Alter vor, werden auch nach jahrelanger Berufserfahrung als Wissenschaftler_in bei Antritt einer PostDoc-Stelle in die unterste Entgeltgruppe (Berufsanfänger) eingestuft, usw. In diesem Beitrag soll es aber um das gehen, was ich als die kleinen Diskriminierungen des Alltags beschreiben würde.
Kapitel 1: Stipendiat_innen stehen vor verschlossenen Türen...
Der Anlass zu diesem Beitrag ergab sich heute Morgen. Wie gewohnt wollte ich an meinem Büroarbeitsplatz an der Universität meinen kleinen täglichen Beitrag zur Forschung leisten. Doch leider stand ich diesmal vor verschlossenen Türen. Was war passiert? Offensichtlich wurden am Tag zuvor die Schlösser am ganzen Institut ausgetauscht, mein Transponder funktionierte nicht mehr. „Die können mich doch nicht einfach so aussperren!“ und „Warum hat mir niemand etwas gesagt?“ waren meine ersten Gedanken. Den Rest des Vormittags verbrachte ich damit, meinen Transponder auszuschalten. Dabei stellte sich heraus, was ich schon vorher vermutet hatte: Ich war als Stipendiat und Drittmittel-Projektmitarbeiter wieder einmal durch das Raster der Universitätsbürokratie gefallen. Angestellte der Universität waren Monate zuvor über den Tausch der Schlösser informiert worden. Nicht so die Stipendiat_innen. „Das Problem ist einfach, dass es keinen Emailverteiler für diesen Personenkreis gibt“, erklärte eine Mitarbeiterin der Verwaltung völlig korrekt die Ursache des Problems. Während ‚normale‘ promovierende Angestellte an diesem Tag also wie gewohnt an die Arbeit gingen standen die Stipendiat_innen buchstäblich vor der Tür.
Das Gefühl, im Vergleich zu angestellten Promovierenden nur ein Nachwuchswissenschaftler zweiter Klasse zu sein beruht auf einer strukturellen Diskriminierung von Stipendiat_innen im Universitätsalltag. Mehr Beispiele gefällig?
Kapitel 2: Dürfen Stipendiat_innen wählen?
Da wäre zunächst etwas sehr elementares, nämlich das Wahlrecht. Zumindest an meiner Universität haben Promotionsstipendiat_innen kein Wahlrecht für den akademischen Mittelbau. Für die Unviersität zählen sie als Teil der Studierendenschaft, sie sind quasi etwas zu alt geratene Student_innen. Die Folge ist, dass ich als junger Wissenschaftler über die Belange von Studierenden mitentscheiden darf, nicht aber über meine eigenen Belange, die des akademischen Mittelbaus. Ich darf mich auch als Vertreter der Studierenden zur Wahl stellen und dann beispielsweise gegen die Präsenzpflicht in Vorlesungen streiten. Was ich nicht darf ist, mich als Interessenvertreter von anderen Promovierenden zur Wahl zu stellen und beispielsweise für Änderungen im Promotionsverfahren oder im Umgang mit Lehraufträgen zu streiten.
Kapitel 3: Dürfen Stipendiat_innen lehren?
Damit sind wir schon bei einer weiteren kleinen Diskriminierung. Stipendiat_innen haben keine Pflicht zur Lehre, das stimmt. Was sie anders als ihre angestellten Kolleg_innen aber auch nicht haben ist das Recht, eine Lehrveranstaltung anbieten zu dürfen. An meinem Fachbereich ist es Promovierenden mit dem Status eines Stipendiaten nicht einmal erlaubt, sich für einen Lehrauftrag zu bewerben. Stipendiat_innen, die nur forschen wollen, mag das nicht tangieren, wer allerdings nach Beendigung der Promotion einen Job haben will, bei dem „Lehrerfahrung“ vorausgesetzt wird, also beispielsweise den Beruf einer/s Hochschullehrer_in ergreifen will, hat ein Problem.
Kapitel 4: Warum Stipendiat_innen nicht stempeln gehen dürfen..
Punkt Nummer vier auf meiner Liste der Diskriminierungserfahrungen hat viel mit „Status“ zu tun. Es geht ums Allerheiligste der Universität, das Briefpapier mit Universitätslogo. Früher mit Stempel, heute meist mit digitalem Logo. Angestellte Promovierende dürfen dieses selbstverständlich benutzen. Nicht so Promovierende mit Stipendium, denn sie sind rechtlich keine Mitarbeiter der Universität. So what? Mag sich mancher fragen. Wer allerdings einmal einen Antrag auf Benutzung eines Archivs im In- oder Ausland gestellt hat oder für die Doktorarbeit auf die Kooperationsbereitschaft anderer außeruniversitäter Einrichtungen angewiesen ist, wird den Unterschied merken: Wer die Macht des Briefkopfes nicht hat, wartet länger auf Antworten und wird im Zweifelsfall öfter abgewiesen.
Kapitel 5: Für immer Studentenaccount ?
Eine fünfte und letzte kleine Diskriminierung, die mir aufgefallen ist, möchte ich anführen. Sie betrifft die IT-Technik. Angestellte Promovierende bekommen an meiner Universität eine andere Art von Computeraccount als Stipendiat_innen. Dies führt dann beispielsweise dazu, dass die Daten der angestellten Promovierenden automatisch auf Uni-Servern gesichert werden, während dieser Service Promovierenden mit Stipendium nicht zur Verfügung steht. Sie müssen sich darauf verlassen, dass der USB-Stick bis zum Ende der Promotion durchhält. Ganz so, als ob deren Forschungsarbeiten weniger bewahrenswert seien.
Kapitel 6: Promovierende - zu alt geratene Studenten oder beruflich Wissen-Schaffende?
Es soll nicht verschwiegen werden, dass mein Status des „Promotionsstudenten, der irgendwie komisch finanziert wird“ mir auch einige Vorteile bringt. Generell bin ich aus Sicht der Universität einfach ein etwas älterer Student. Ich habe einen normalen Studierendenausweis und bekomme damit in der Mensa billigeres Essen als meine angestellten Kolleg_innen, gehe im Museum als Junior durch und ich habe ein Semesterticket. Der Punkt ist aber, dass ich mich gar nicht als alten Studenten sehe, sondern als jungen Wissenschaftler. Das ist vielleicht auch eine Frage der Eitelkeit, aber doch nicht nur. Es geht darum, dass die Phase der Promotion als erste Phase der wissenschaftlichen Berufstätigkeit anerkannt werden muss. Dies ist eine Forderung, die viele Initiativen aus dem akademischen Mittelbau, von Promovierenden, aber auch die Gewerkschaften erheben. Die GEW hat dies im lesenswerten Herrschinger Kodex näher begründet )siehe http://www.gew.de/Herrschinger_Kodex.html). Wenn die Bundesländer und Universitäten aus angeblicher oder tatsächlicher Finanznot schon immer mehr Stellen im Mittelbau zusammenstreichen und sich unter Umgehung der Sozialsysteme Promovierende durch Stiftungen finanzieren lassen, dann sollen sie Stipendiat_innen aber wenigstens nicht auch noch rechtlich und im Universitätsalltag diskriminieren.
Fazit: Was die Gerda Henkel Stiftung und andere Stiftungen tun sollten: Stellen statt Stipendien finanzieren und Gleichberechtigung für alle Promovierenden an der Universität einfordern!
Stiftungen wie die Gerda Henkel Stiftung müssen sich meiner Meinung nach entscheiden, ob sie mit ihrem Geld einen Status von Promovierenden zweiter Klasse an den Universitäten etablieren möchten. Der beste Weg, um dies zu verhindern ist, künftig weniger Stipendien zu vergeben und stattdessen mehr Stellen für Promovierende zu finanzieren, ähnlich wie dies beispielsweise im DFG-Programm „Eigene Stelle“ der Fall ist. Langfristig wäre ich dafür, alle Stipendien durch ausfinanzierte Stellen zu ersetzen. Stiftungen können und sollten die knappen Mittel der Länder künftig durch die Schaffung von mehr Stellen und weniger Stipendien ergänzen.
Wenigstens aber sollten Stiftungen ihre ökonomische Macht dazu zu nutzen, für ihre Stipendiat_innen eine auch rechtliche Gleichstellung einzufordern. Der Begriff der „Grundausstattung“ muss dahingehend erweitert werden, dass Stipendiat_innen in allen Belangen gleiche Rechte wie angestellte Promovierende haben. Zur Grundausstattung sollte nicht nur der Büroarbeitsplatz gehören, sondern auch, dass Stipendiat_innen gegenüber angestellten Promovierenden nicht schlechter behandelt werden. Diese Forderung nach Gleichberechtigung kostet die Stiftungen kein Geld. Drohende Einbußen an Drittmitteln, wenn Universitäten diesem Anspruch auf volle Gleichberechtigung nicht genügen, dürften den Universitäten aber ein großer Anreiz sein, Stipendiat_innen künftig gleichberechtigt zu behandeln. Es dürfte Wunder wirken, einen kleinen Passus in die Vereinbarungen der Stiftungen mit den Universitäten aufzunehmen, der in etwa wie folgt lauten könnte:
„Die durch die Stiftung finanzierten Forscher_innen sind in allen Belangen ihren durch Landesmittel oder andere Quellen finanzierten Kolleg_innen rechtlich gleichzustellen.“
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Und wer den Herrschinger Kodex gut findet, kann sich zum Beispiel hier engagieren: http://gew.de/ProG_DoktorandInnen.html
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Gleichzeitig soll man sich nicht beschweren: Es ist ja grossartig, dass wir so ohne Verpflichtungen an unserer Dissertation arbeiten dürfen. Wenn ich da die Kollegen und Kolleginnen Assistenten sehe, die vor lauter Administration und Lehre kaum mehr zu ihrer Dokotrarbeit kommen und deren Vertrag dann nach vier Jahren genau so ausläuft, dann fühle ich mich privilegiert.