Heutige Vorstellungen von Gewalt und Terror auf dem Balkan sind meist mit Serben als Tätern verbunden. Dass Serben vor allem während des Zweiten Weltkriegs in erster Linie Opfer waren, daran erinnert eine aktuelle Studie des Historikers Dr. Alexander Korb von der University of Leicester: Im Schatten des Weltkriegs. Massengewalt der Ustaša gegen Serben, Juden und Roma in Kroatien 1941-1945. So soll am 22. Juni 1941 der Chefpropagandist der Ustaša und Minister für Religion und Bildung Mile Budak die Weisung ausgegeben haben, ein Drittel der Serben zu töten, ein weiteres Drittel zu deportieren und das verbleibende Drittel durch die katholische Taufe zu Kroaten machen. Wir haben mit Dr. Alexander Korb über die Ustaša-Bewegung und ihre Politik, ein ethnisch homogenes Großkroatien errichten zu wollen, ein Interview geführt.
"Besatzungsbürgerkriege, die sich im Schatten des Weltkriegs abspielten"
L.I.S.A.: Herr Dr. Korb, Sie haben sich intensiv mit dem kroatischen Ustaša-Regime während des Zweiten Weltkriegs befasst und dazu ein Buch geschrieben. Im Zentrum Ihrer Analyse steht dabei nicht das Regime an sich, sondern die von der Ustaša ausgeübte Gewalt gegen Serben, Juden und Roma. Wie kamen Sie zu diesem Thema? Ist das Feld nicht schon lange erforscht?
Dr. Korb: Nach Abschluss meines Grundstudiums leistete ich in der kroatischen Hauptstadt Zagreb den einjährigen „Europäischen Freiwilligendienst“ (EVS). Ich arbeitete bei einer NGO, die sich für die Bewältigung gesellschaftlicher und mentaler Kriegsfolgen einsetzte und über intensive Kontakte in die anderen ex-jugoslawischen Republiken verfügte. Es war mir vergönnt, in die jugoslawischen Nachfolgestaaten zu reisen und viel über die verschiedenen Interpretationen der Vergangenheit zu lernen. Auffallend war ein merkwürdiges Mischverhältnis: Zum einen war die Geschichte des Zweiten Weltkriegs und der in Jugoslawien verübten Gräuel omnipräsent, was auch an den Kriegen der 1990er Jahre lag; zum anderen war das Sprechen über Geschichte aber eigenartig unkonkret: Es blieb oft nebulös, was sich jeweils genau zugetragen hat.
Die Regale der Antiquariate waren voll mit Büchern aus der jugoslawischen Ära zu Tito und dem Partisanenkrieg, wohingegen die Schaufenster der Buchhandlungen bestückt waren mit neuen Büchern, die die Ustaša, also die faschistische Bewegung, die Kroatien von 1941 bis 1945 regierte, verherrlichten oder zumindest verharmlosten. Für Gewalt interessierte sich indes weder die ältere linke noch die jüngere rechte Literatur. Zwar beschrieben einige Autoren die Exzesse der Mörder detailliert, dabei verzichteten sie jedoch auf eine Analyse der Taten. Stattdessen begnügten sie sich damit, den Sadismus und die Bosheit beweisen zu wollen.
Als ich dann mit meiner Promotion an der Humboldt-Universität begann, ging es mir vor allem darum, eine Forschungslücke zu schließen, die ich persönlich interessant fand. Erst allmählich verstand ich das Potential, das das Thema für die gesamte Holocaustforschung hat. Denn bei Kroatien handelte es sich um ein Gebiet, in dem vor allem nichtdeutsche Täter für Gewalttaten verantwortlich waren. Im Land tobte ein Bürgerkrieg, vergleichbar mit der Ukraine, Griechenland oder Norditalien. Solche Besatzungsbürgerkriege, die sich gleichsam im Schatten des Weltkriegs abspielten, sind ein vielschichtiger und zugleich sehr europäischer Teil der Weltkriegsgeschichte. Die Dynamik zwischen den verschiedenen Tätergruppen, die sich zu einem Teil jenseits deutscher Kontrolle abspielte, sorgte für ein besonders hohes Maß an Gewalt und Brutalität.
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ich möchte Ihnen widersprechen, dass mein Interview zu wenig wissenschaftlich und objektiv ist. Ich denke, dass ein Blick in das Buch einige ihrer Bedenken zusätzlich zerstreuen würde - so gehe ich detailliert auf die Art und Weise ein, wie die Gewalttaten der Ustasche dämonisiert wurden, und warum. Was die Opferzahlen betrifft, betrachte ich meine Arbeit nicht als originären Beitrag, aber zum Glück wird die Zahl auch dank der akribischen Arbeit der Gedenkstätte Jasenovac immer präziser.
Ich würde mich über Literaturhinweise bezüglich der Massaker an Kroaten und Muslimen in BiH freuen - das ist etwas, dass ich in der Tat kaum untersucht habe. Vielen Dank im voraus,
Alexander Korb
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< nirgendwo konnte ich vorher prägnanteres lesen. < vor allem das spannungsfeld ungarisch deutsch kroatisch < & die assimilierung der deutschen(katholischen) ins kroatische. < der herr doktor saß 1942 noch in der separierungskommission & hat deportationslisten geschrieben. < um 10 jahre später in salzburg die große donauschwäbische geschichte zu erzählen!! < neben tisma & sein "buch blam" das beste was mir bei meiner privat-recherche passieren konnte. vielen dank !!
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Der Tenor lautet, dass ein deutscher Historiker den Genozid an den Serben leugne, indem er 1) den Begriff Genozid nicht benutzt und 2) die Opferzahlen herunterrechnet. 3) wird der Vorwurf erhoben, dass ich den klerikalfaschistischen Charakter des Ustaša-Regimes nicht anerkenne.
Dazu muss man sagen, dass es unwahrscheinlich ist, dass das gute Dutzend Rezensenten die Studie wirklich gelesen hat. Vielmehr werden Zitate aus einer besonders umfangreichen Besprechung in der Zeitschrift des Kulturvereins "Matica Srpska" recycled. Mein Buch scheint als Projektionsfläche für gefühlte Angriffe "des Westens" auf Serbien zu dienen, vielleicht ein wenig vergleichbar mit den Angriffen in Serbien auf Christopher Clarks "The Sleepwalkers". Leider haben bislang keine liberalen Kollegen in Serbien mein Buch besprochen.
In Kroatien sind die Reaktionen verhalten positiv. Bislang zwei Rezensenten wägen Lob und Kritik ab, aber loben die Tatsache, dass ein sich Außenseiter der kroatischen Geschichte nähert. Die Gefahr besteht darin, dass die Tatsache, dass ich die Geschichte der Massengewalt verkompliziere, kroatischen Rechten möglicherweise entgegen kommen könnte. Auf der anderen Seite bin ich eindeutig in dem Befund, dass die kroatischen Faschisten die Gewalt selbst zu verantworten haben, und keine deutschen Marionetten waren. Wie das Buch in Kroatien aufgenommen werden wird, steht also noch aus.
Ich bin in Kontakt mit KollegInnen sowohl in Kroatien als auch in Serbien, um Buchvorstellungen zu organisieren und schließlich auch eine Übersetzung des Buches in die Wege zu leiten. Leider sind der kroatische und der serbische Buchmarkt mittlerweile völlig separiert - ein in Zagreb erschienenes Buch wird in Belgrad nur wenig wahrgenommen und vice versa.
Eine Anekdote zum Schluss verdeutlicht, dass es oft völliger Zufall ist, wie ein Buch im Ausland wahrgenommen wird. Auf Amazon griff ein kroatischer Patriot mein Buch in seinem User-Kommentar an, woraufhin sich sofort eine serbische Patriotin fand, die dort mein Buch engagiert verteidigte.
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