Fritz Stern gehörte zu den Zeitzeugen, die fünf verschiedene deutsche Staaten erlebt haben - "five Germanys I have known". Geboren 1926 in Breslau zu Zeiten der Weimarer Republik, wurde er im Alter von zwölf Jahren gemeinsam mit seiner Familie aus Nazideutschland vertrieben und emigrierte in die Vereinigten Staaten von Amerika. Bereits kurz nach dem Krieg besuchte er die Bundesrepublik und bereiste bei einem seiner zahlreichen Aufenthalte auch die DDR. Die Vereinigung beider deutscher Nachkriegsstaaten kommentierte er als die "zweite Chance der Deutschen". Die enge Verbundenheit Fritz Sterns zu Deutschland und seiner wechselhaften Geschichte im 20. Jahrhundert bestimmte sein Wirken als Historiker, das mit seinem Studium 1946 begann und nun mit seinem Tod im Alter von 90 Jahren zu Ende gegangen ist. Wir haben den Historiker Prof. Dr. Michael Brenner von der Universität München um einen Blick zurück gebeten.
"Plötzlich waren Helmut Schmidt oder Henry Kissinger mit im Raum"
L.I.S.A.: Herr Professor Brenner, der Historiker Fritz Stern ist tot. Haben Sie als Internationaler Präsident des Leo Baeck Instituts den Preisträger der Leo-Baeck-Medaille persönlich kennengelernt? Wie erinnern Sie sich an Fritz Stern?
Prof. Brenner: Ich habe Fritz Stern nicht im Zusammenhang mit dem Leo Baeck Institut kennengelernt, sondern viel früher als meinen akademischen Lehrer an der Columbia University, wohin ich 1988 zu meiner Promotion kam. Er war ein akademischer Lehrer, wie es ihn heute so nicht mehr gibt. Er war in vielerlei Hinsicht unorthodox. Ich erinnere mich, wie er auf die Frage, welches das beste Geschichtsbuch über das 19. Jahrhundert sei, spontan sagte: Die Buddenbrooks. Doch gleichzeitig war er natürlich auf der Höhe der aktuellen Forschung, und wir haben in seinen Seminaren die neuesten Debatten zum deutschen Sonderweg heftig diskutiert.
Seine Seminare, oft bei ihm zu Hause, waren nicht nur „Sternstunden“ in europäischer Geschichte, sondern brachten uns Doktoranden auch mit einem Zeitzeugen in Kontakt, der vieles aus seinem eigenen Leben zu berichten hatte. Der Chemiker und Nobelpreisträger Fritz Haber war sein Taufpate, später lernte er Albert Einstein kennen, und manchmal klingelte während der Seminare das Telefon, und er rief aus: "Oh hello Helmut" oder "One moment, Henry" - und plötzlich waren Helmut Schmidt oder Henry Kissinger sozusagen mit im Raum. Er bat uns dann, sein Wohnzimmer kurz zu verlassen – und manchmal vergaß er danach auch, seine Studenten wieder zurückzurufen.