Der Fußball hatte bei seiner Einführung im Deutschen Kaiserreich einen schweren Stand. Deformierte Körper und die Beförderung von chaotischem Individualverhalten seien die unweigerlichen Folgen dieser "englischen" Sportart. Tatsächlich aber änderte sich nach und nach der Diskurs über den Fußball. Was anfangs als nachteilig für Männlichkeit, militärische Schlagkraft und nationale Festigkeit galt, wurde positiv umgedeutet. Fußball schien nun genau das Verhalten zu befördern und die Fähigkeiten abzurufen, die das Deutsche Kaiserreich von seinen Untertanen erwartete, um im Wettbewerb der Nationen vorne mitzuspielen. Der Historiker Dr. Jörn Eiben zeichnet in seiner nun erschienenen Dissertation nach, warum und unter welchen Umständen sich der Diskurs über Fußball umkehren konnte. Wir haben ihn dazu befragt.
"Wie die Gegenwart in den Augen derer war, die über Fußball sprachen"
L.I.S.A.: Herr Dr. Eiben, Sie haben über den Fußball im Kaiserreich promoviert, genauer: über die Art und Weise, wie während des Kaiserreichs über Fußball gesprochen wurde. Was hat Sie angesichts des Themas „Fußball“ dazu veranlasst, weniger eine Sport- als eine Diskursgeschichte zu schreiben?
Dr. Eiben: Es gibt zwei Argumente, die für mein Vorgehen sprechen. Das erste bezieht sich auf den Forschungsstand. Sucht man in den gängigen Datenbanken, so finden sich hunderte von Texten, die sich im engeren oder weiteren Sinne mit dem Fußball und dessen Geschichte(n) beschäftigen. Dehnt man den Phänomenbereich auf den Sport aus oder sucht man nach Texten in anderen Sprachen, so kommen tausende weiterer Titel hinzu. In anderen Worten: Über den Fußball wurde bereits sehr viel geschrieben. Mit Abstrichen gilt dieser Befund auch für den engeren Untersuchungszeitraum, den ich mir gesetzt habe, nämlich das Deutsche Kaiserreich. Bisher hat allerdings noch kaum jemand über den Fußball in einer diskursanalytischen Perspektive nachgedacht – vor allem nicht für das Deutsche Kaiserreich. Neben diesem Punkt, der letztlich nur dann relevant ist, wenn man die Forschungslücke für wichtig hält, spricht aber noch ein zweites Argument für mein Vorgehen. In Anlehnung an ein bekanntes Bonmot Gary Linekers ist Fußball mit Sicherheit sehr viel mehr als nur "ein einfaches Spiel, bei dem 22 Menschen 90 Minuten lang einem Ball nachjagen". Beispielsweise wurde vor einigen Jahren einigermaßen ungelenk über Homosexualität im Fußballsport debattiert. Ein anderes Beispiel ist der chauvinistische Unsinn, der mit einer enervierenden Vorhersagbarkeit anlässlich der Fußball-Weltmeisterschaften der Frauen, über die Unterschiede zwischen männlicher und weiblicher Leistungsfähigkeit verbreitet wird. Das sind nur zwei von zahlreichen Beispielen dafür, dass am Fußball Dinge verhandelt werden, die deutlich über das hinausweisen, was auf dem Spielfeld geschieht.
Insofern konnte ich mir schlichtweg nicht vorstellen, wie ich den Fußball im Kaiserreich anders untersuchen konnte, als in seinen Beziehungen zu den damaligen sozio-kulturellen Bedingungen. Dass ich dieses Unterfangen diskursanalytisch angegangen bin, mag sicherlich an einer persönlichen Präferenz für diese Denkweise liegen. Analytisch hat es jedoch zweifellos den Vorzug, dass die zeitgenössischen Debatten über das Für und Wider des Fußballs sowohl hinsichtlich ihrer spezifischen Effekte als auch hinsichtlich ihrer Beziehungen zu bestimmten Wissensordnungen untersucht werden konnten. Es war also nicht primär mein Anspruch herauszufinden wie der Fußball war, sondern wie die Gegenwart in den Augen derer war, die über den Fußball sprachen.