Im 2. Jh. n. Chr., zur Zeit der Antoninenkaiser Mark Aurel und Lucius Verus, schrieb der aus dem syrischen Samosata stammende Satiriker Lukian ein Werk „Wie man Geschichte schreiben soll“, das als die einzige aus der Antike erhaltene theoretische Abhandlung über die Abfassung von Historiographie gilt. Scheinbar veranlasst durch eine jähe Flut an neuartigen Geschichtswerken, die im Zuge des von Lucius Verus geführten Partherkrieges der Jahre 162-166 n. Chr. entstanden und durch übertriebenes Herrscherlob den der Wahrheit verpflichteten Gattungscharakter der Geschichtsschreibung ad absurdum führten, macht es sich Lukian zur Aufgabe den zeitgenössischen Literaten zum einen auf satirische Weise ihre Fehler vor Augen zu führen, zum anderen allgemeine Anweisungen zum richtigen Stil und Vorgehen bei der Abfassung historiographischer Werke zu geben.
Geschichtsschreibung unter den Antoninen
Lukian und die Historiker des 2. Jahrhunderts n. Chr.
Im Rahmen dieses Dissertationsvorhabens soll dieser Schrift besondere Aufmerksamkeit zuteilwerden und ihr Platz im Kontext zeitgenössischer Historiographie und Bildungskultur der Antoninenzeit verortet werden. Ihr Charakter als kompakter Leitfaden antiker Geschichtsschreibung ebenso wie der Umstand, dass sie mangels Parallelüberlieferung das umfangreichste Bild eines vermeintlichen Gattungszustandes für die Zeit des 2. Jh. n. Chr. zeichnet, macht sie zu einem wichtigen und einzigartigen Zeugnis für Aussagen zur antiken Historiographie im Allgemeinen sowie zu ihrer Beschaffenheit unter den Antoninenkaisern im Besonderen. In dieser Hinsicht ergeben sich jedoch Fragestellungen, die innerhalb der bisherigen Forschung zu diesem Werk entweder nur teilweise angerissen oder gar gänzlich vernachlässigt wurden. Entspricht etwa der von Lukian beschriebene Zustand der Gattung wirklich den realen Umständen seiner Zeit? Entwickelt er eine von seinen Vorlagen differenzierte Sicht auf die Maßregeln der Geschichtsschreibung? Handelt es sich bei dem Werk tatsächlich um einen theoretischen Traktat oder eventuell eher um eine rein scherzhafte Satire?
Dass eine allzu leichtfertige Interpretation der Schrift als ernstzunehmendem theoretischem Traktat sich durch die Gegebenheit, dass sie von einem Satiriker geschrieben wurde, der ihr in einigen Teilen einen wohl absichtlich fragwürdigen Charakter gab, ausschließt, wurde innerhalb der Forschung bislang selten beachtet. Dies soll nicht bedeuten, dass es sich nicht doch um eine akkurate Darstellung der Praktiken antiker Geschichtsschreibung handeln kann, doch wird der Einordnung der Schrift in ihren zeitgenössischen Kontext und den sich hieraus ergebenden Folgen für ihren Inhalt und ihre Darstellungsweise durchweg zu wenig Beachtung geschenkt.
Zwei Aspekte liegen daher diesem Untersuchungsvorhaben zugrunde. Einerseits muss der Traktat im Rahmen der weiteren annähernd achtzig Schriften des Lukian analysiert und seine Rolle unter diesen bestimmt werden, um hierdurch z.B. eventuelle literarische Motive oder satirische Tendenzen des Autors erkennen zu können, die im Einklang oder in Ablehnung zu seinem Gesamtwerk stehen. Andererseits muss das Werk im Kontext der historiographischen Schriften der Kaiserzeit, im Besonderen der Antoninenzeit, sowie der zeitgenössischen literarischen Strömungen der sogenannten 2. Sophistik betrachtet werden. Ihr prägendes Charakteristikum, das sich durch die geistige und stilistische Auseinandersetzung mit Literaten einer bereits damals als klassisch definierten Periode, namentlich der Blütephase der athenischen Kultur des 5. und 4. Jh. v. Chr., äußerte, stellt nur eines von mehreren Motiven dar, die sich in der lukianischen Schrift widerspiegeln und z.B. anhand der Sophistenviten Philostrats oder der Reden des Dion Chrysostomos veranschaulicht werden. Einen wichtigen Platz nimmt darüber hinaus die vergleichende Untersuchung des Traktats mit den historiographischen Vorgehensweisen der auf uns gekommenen Autoren Fronto, Arrian und Appian ein. In diesen greifen wir die durch die Überlieferung am besten konservierten Literaten der antoninischen Ära zu Themen der Geschichtsschreibung.
Gerade die vielfältige Entwicklung, die die Gattung in der Kaiserzeit erlebte, z.B. das Wiederaufleben einer griechischen Universalgeschichtsschreibung, das aufkeimende Interesse an einer Geschichte Alexanders des Großen oder die sich in Resignation ergebende senatorische Historiographie lateinischer Sprache, könnte durch eine Einbeziehung der lukianischen Schrift weitere Konturen gewinnen. Anstatt das Werk ausschließlich im Lichte klassischer und hellenistischer Theorien zur Geschichtsschreibung zu sehen, wie es bisher überwiegend in der Forschung erfolgte, sollten endlich die Bezüge zur kaiserzeitlichen Geschichtsschreibung und Kultur stärker betont und der Standort des Werkes innerhalb dieser bestimmt werden.
Wie man Geschichte schreiben soll – dieser Fragestellung widmet sich das Dissertationsprojekt und versucht einen Eindruck davon zu vermitteln, was Geschichtsschreibung im Zeitalter der Antoninen bedeutete, wie sie eingesetzt und wie sie schließlich während der Hochphase der sogenannten 2. Sophistik geschrieben wurde.
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