Die Neuere Kulturgeschichte hat in den letzten Jahrzehnten neue Themen und Fragestellungen erschlossen: Alltag und Erfahrung, Erinnerung und Emotion, Körperlichkeit und Gewalt, Repräsentation und Performance. Dabei hat die anthropologische Fassung des Kulturbegriffs neben vielen Vorteilen auch Nachteile: Sie bezeichnet die symbolische Komponente sämtlicher menschlicher Praktiken und sozialer Produkte als Kultur und riskiert damit eine Überstrapazierung dieses Begriffs. Das Kolloquium „Hochkultur in der Sowjetunion und in ihren Nachfolgestaaten im 20. Jahrhundert in kulturgeschichtlicher Perspektive“ engt das Objekt der Kulturforschung ein. Es versucht, das Instrumentarium der Neueren Kulturgeschichte für die Erforschung der „traditionellen“ Kulturerscheinungen wie Musik, Theater, Literatur, bildende Kunst und Tanz zu nutzen. Themen wie Kulturpolitik, kulturelle Milieus, Kulturtransfer sowie Rezeption von Kultur werden anhand der spannungsreichen Geschichte der Sowjetunion und ihrer Nachfolgestaaten im 20. Jahrhundert erörtert. Im Kolloquium wird daher die Hochkultur als ein Spannungsfeld der Politik und des Alltags, der Kontrolle und der Identitätsbildung, der Anpassung und der Subversion im internationalen Kontext betrachtet.
"Hochkultur in der Sowjetunion und in ihren Nachfolgestaaten im 20. Jahrhundert in kulturgeschichtlicher Perspektive"
Eine Tagung am Historischen Kolleg in München vom 7. bis 9. Mai 2015
Kolloquium: Hochkultur in der Sowjetunion und in ihren Nachfolgestaaten im 20. Jahrhundert in kulturgeschichtlicher Perspektive
Leitung: Prof. Dr. Igor Narskij
Ort: Historisches Kolleg, München (Kaulbachstr. 15, 80539 München)
Datum: 7. – 9. Mai 2015
Anmeldung: Teilnahme nur nach bestätigter Anmeldung unter joern.retterath@historischeskolleg.de möglich
Programm
Donnerstag, 7. Mai 2015
15:00 Uhr Igor Narskij (Tscheljabinsk/München): Begrüßung und Einführung: Formative Herausforderungen
15:30 Uhr Boris Kolonitskij (St. Petersburg): Die Hochkultur im Zeitalter des Ersten Weltkriegs in Russland und das kulturelle Kriegsgedächtnis in der UdSSR / Художественная культура эпохи Первой мировой войны в России и культурная память о войне в СССР
16:20 Uhr Dietrich Beyrau (Tübingen): Zum Grab der Rosa Luxemburg – Utopien in Russland seit 1900
17:10 Uhr Kaffeepause
Kulturpolitik
17:40 Uhr Aleksandr Fokin (Tscheljabinsk): Kulturproblematik der Parteitage in den 1960er und 1970er Jahren / Проблемы культуры на партийных съездах 1960-1970-х гг.
18:30 Uhr Igor Narskij (Tscheljabinsk/München): Hat der sowjetische Parteistaat das Volk zu tanzen gelehrt? Kulturpolitik und Amateurchoreographie in der Sowjetunion
19:20 Uhr Empfang im Gartensaal des Historischen Kollegs
Freitag, 8. Mai 2015
Autoritäten in der Hochkultur
9:00 Uhr Georg Witte (Berlin): Die Autorität des Autors? Zum kulturellen Status der Literatur in Russland
9:50 Uhr Dorothea Redepenning (Heidelberg): „Lernen bei den Klassikern.“ Leninistisches Kulturverständnis und die Konsequenzen für die ernste Musik in der Sowjetunion
10:40 Uhr Kaffeepause
Kulturelles Milieu
11:10 Uhr Galina Yankovskaya (Perm): Repräsentation der egalitären Ideale der Art-Gemeinschaft während der Symposien des Verbands der Künstler 1911 und 1957 / Эгалитарные идеалы арт-сообщества в зеркале съездов союза художников 1911 и 1957 гг.
12:00 Uhr Rüdiger Ritter (Berlin): Musik und ihre gesellschaftlichen Orte
12:50 Uhr Mittagspause/Gemeinsames Mittagessen der Referentinnen und Referenten/Kaffee im Historischen Kolleg
Kulturtransfer
14:30 Uhr Ivan Sablin (Heidelberg): Vom Orientalismus zur Transkulturalität: Asien in der klassischen Musik zur Sowjetzeit
15:20 Uhr Elena Korowin (Karlsruhe): Kulturtransfer während der „Perestroika“: Vorhang auf für eine neue russische Ästhetik
16:10 Uhr Kaffeepause
Hochkultur und Medien
16:40 Uhr Kirsten Bönker (Bielefeld): Das sowjetische Fernsehen und die Neujustierung kultureller Grenzen
Samstag, 9. Mai 2015
9:00 Uhr Nikolaus Katzer (Moskau): Wem gehört Babel'? „Rote Reiter“ zwischen Modernismus und Folklore
Kulturrezeption
9:50 Uhr Stefan Weiss (Hannover): Gedanken zu einer Kulturgeschichte des sowjetrussischen Opern- und Konzertpublikums
10:40 Uhr Boris Belge (Tübingen): „Neue Musik“ als europäischer Erfahrungsraum. Die Rezeption zeitgenössischer Komposition in der Sowjetunion und Westeuropa, 1953–1991
11:30 Uhr Kaffeepause/Kleiner Snack
Alternative Kulturprojekte
12:00 Uhr Michel Abeßer (Freiburg): Ernsthaft, modern und exklusiv? – Sovetskij Džaz als kulturelles und soziales Projekt der 1960er Jahre
12:50 Zinaida Vasilyeva (Neuchâtel): Unsichtbarer Staat – staatliche Kultur: Infrastruktur der musikalischen Amateurvereinigungen im Spätsozialismus / Незаметное государство: инфраструктура любительских объединений эпохи позднего социализма
ca. 13:40 Uhr Tagungsende