Nach einer aktuellen Studie der Technischen Universität Dresden gehört der durchschnittliche Teilnehmer der sogenannten Pegida-Demonstrationen in der sächsischen Landeshauptstadt, bei der gegen eine angebliche Islamisierung des Abendlandes protestiert wird, der Mittelschicht an. Das vorherrschende Motiv sei allerdings nicht Islamfeindlichkeit, sondern eine generelle "Unzufriedenheit mit der Politik". Bleibt natürlich die Frage, warum ausgerechnet das Bild vom Islam als Katalysator für diese Unzufriedenheit offenbar funktioniert. Die Soziologin Dr. Naime Cakir vom Institut für Studien der Kultur und der Religion des Islam an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main forscht zu den Ursachen von Islamfeindlichkeit in Deutschland und hat jüngst dazu eine Studie veröffentlicht. Wir haben ihr unsere Fragen gestellt.
"Die Ursachen für Islamfeindlichkeit nicht auf aktuelle Ereignisse reduzieren"
L.I.S.A.: Frau Dr. Cakir, Sie forschen unter anderem zum Islam in Deutschland sowie zu den Themen Islamophobie, Rassismus, Kulturalismus und Ethnizismus. Zuletzt haben Sie einen Band mit dem Thema "Islamfeindlichkeit. Anatomie eines Feindbildes in Deutschland" publiziert. Was hat Sie zu so einem Buch veranlasst?
Dr. Cakir: Bereits Anfang der 1990er Jahre haben sich im gesellschaftlichen Diskurs deutlich islamfeindliche Debatten abgezeichnet. Die Brandanschläge in Mölln und Solingen Anfang der 1990er Jahre waren da ein Weckruf für mich. Seit dieser Zeit habe ich mich zunächst als Aktivistin im interreligiösen Dialog und nach dem 11. September als Wissenschaftlerin mit diesem Thema befasst.
L.I.S.A.: Seit wann würden Sie in Deutschland von einer Islamophobie bzw. Islamfeindlichkeit sprechen? Reichen die Wurzeln bis in die Anfänge der Arbeitsmigration in die alte Bundesrepublik zurück? Gibt es möglicherweise historisch begründete Traditionen bzw. Anatgonismen (Abendland vs. Morgenland)? Und welche Bedeutung spielen dabei jüngere Ereignisse der Zeitgeschichte - 11. September 2001, Al Kaida, Taliban, IS und das Attentat auf Charlie Hebdo?
Dr. Cakir: Eine genaue Zeitbestimmung ist hier schwierig, obgleich wir die Anfänge der „modernen“ Islamfeindlichkeit am ehesten im 20. Jahrhundert suchen können. Antiislamische Motive und negative Bilder über den Islam können wir historisch in der mittelalterlichen Auseinandersetzung des Christentums mit dem Islam und später auch im Zuge des Orientalismus im 19. Jahrhundert finden. Allerdings sind der historische und die moderne Form der Islamfeindlichkeit nicht identisch, obgleich auch Gemeinsamkeiten zu finden sind. Beispielsweise rekurrierte die historische Islamfeindlichkeit auf religiös begründete Weltbilder, während die moderne Form der Islamfeindlichkeit antiislamische Vorurteile und Feindbilder als Mechanismen der sozialen Ausgrenzung gegenüber den MigrantInnen nutzt, um insbesondere diejenigen, die bereits in der Mitte der Gesellschaft angekommen sind, an die randständigen Positionen innerhalb der Gesellschaft zu binden. War das historische Thema der Islamfeindlichkeit, den Fremden in der Fremde zu bekämpfen, ist das Thema der modernen Islamfeindlichkeit, den „Fremden“ im Inneren zu bekämpfen. Der Fremde im Inneren erscheint hierbei gefährlicher als der äußere Feind, der durch territoriale Grenzziehungen beherrschbar erscheint, während der Fremde im Inneren sich der Kontrolle jederzeit entziehen kann und somit unberechenbar bleibt. Die moderne Form der Islamfeindlichkeit ist auch eine Reaktion auf die Dauerpräsenz von Muslimen im Zuge der Einwanderungsgeschichte in Deutschland und die damit verbundenen Irritation der Rollen zwischen dem Gast und dem Gastgeber. Die Gäste haben schon längst die ihnen zugewiesene Rolle als Gäste verlassen, die sie in den 1960er und 1970er Jahren auch räumlich in das innere Ausland (Türkenschulen/ Wohnvierteln in randständigen Bezirken oder Hinterhofmoscheen etc.) verwies, die eine Nicht-Beachtung - im Sinne einer „Vergegnung“ - ermöglichte. Wurden sie (auch im eigenen Selbstverständnis) in den ersten zwanzig Jahren der Einwanderung in der Rolle als „Gast“-Arbeiter primär als Hilfsarbeiter wahrgenommen, die Arbeiten zu verrichten hatten, für die nicht genügend Einheimische zur Verfügung standen, um nach verrichteter Arbeit in die Heimatländer zurückzukehren, so haben sich diese Rückkehr-Erwartungen beiderseits nicht erfüllt. Sie sind heute in der Mitte der Gesellschaft angekommen.
Allen ist nun klar: Die ehemaligen Gastarbeiter haben ihren Lebensmittelpunkt auf Dauer in die Bundesrepublik verlegt und beanspruchen, „Objekt von Verantwortung“ (Bauman) zu sein. Als mündige Bürger dieses Landes beanspruchen sie Rechte und Rollen, die für sie nicht vorgesehen waren. Die Nachkommen der ursprünglich zugewanderten „Gast“-Arbeiter mit entsprechenden Bildungsabschlüssen konkurrieren nun nicht mehr nur mit dem Hilfsarbeiter, sondern mit Angestellten und Beamten. Es bedurfte einer Neujustierung der Rollen innerhalb des Gesellschaftsgefüges, die die Marginalisierung der mittlerweile etablierten Einwanderer weiterhin zu gewährleisten hatte. Im Zuge dessen ist der Islam zum Gegenstand öffentlicher Anerkennungskonflikte geworden. D.h. in der Konkurrenz um die besten Plätze innerhalb der Gesellschaft werden antiislamische Vorurteile und Feindbilder als Ausschließungspraxis eingesetzt, da das Privileg des „Staatsbürgers für die autochthone Gruppe“ nicht mehr greift. Daher ist für mich nicht verwunderlich, dass alle neueren Studien bestätigen, dass islamfeindliche Haltungen und Tendenzen mittlerweile nicht nur am (rechten) Rand der Gesellschaft zu finden sind, sondern sich zunehmend auch in der Mitte etabliert haben, wie wir dies aktuell im Zusammenhang der Pegida-Demonstration sehen.
Genau diese Tendenz hat sich bereits in den 1990er Jahren abgezeichnet. Dennoch möchte ich betonen, dass die Ursachen für die Islamfeindlichkeit nicht auf aktuelle Ereignisse der Zeitgeschichte reduziert werden dürfen. Vielmehr haben wir es mit einem Ursachenbündel zu tun. Als einen weiteren markanten Punkt, der der modernen Islamfeindlichkeit Anschub verlieh, können wir das Ende des „Kalten Krieges“ mit dem Schrecken der atomaren Bedrohung und dem Ende der poststalinistischen osteuropäischen Systeme ausmachen. Seither (1989/90) kam dem Islam anstelle des Antikommunismus eine zentrale Feindbildfunktion zu, die offenbar zum Zwecke der Selbstdefinition und Selbstvergewisserung als dialektisches Gegenüber zur eigenen Identitätserfassung existenziell notwendig war und ist. Reinhard Schulze bringt es wunderbar auf den Punkt, wenn er sagt, dass der Islam im Sinne eines ‚gegenaufklärerischen-antimodernen Fundamentalismus’ zur ideologischen und gesamtkulturellen Antithese zum Westen erklärt wurde (Schulze 1991). Diese seither vollzogene „neue Bipolarisierung der Welt“ scheint sich insbesondere seit dem Terroranschlag vom 11. September 2001 mitsamt der seitens der US-Regierung daraufhin betriebenen manichäischen Spaltung der Welt zu bestätigen. Diese ist unter dem Eindruck des potenziellen Bedrohungsszenarios einer so genannten „Achse des Bösen“ von der Mehrheit der europäischen Regierungen zunächst bereitwillig mitgetragen worden.