Vom 23. – 25. Januar 2013 lud das Deutsche Forum für Kunstgeschichte zum zweiten deutsch-französischen Forschungskolloquium für Nachwuchswissenschaftler in seinen neuen Standort im Hôtel Lully in die rue des Petits Champs in Paris ein. Zwischen dem Institut national d’histoire de l’art, der Bibliothèque nationale de France und dem Louvre im Herzen von Paris gelegen, begegneten sich französische und deutsche Doktoranden und Postdoktoranden der Kunstgeschichte zu drei Tagen des intensiven Austauschs über ihre Promotions- und Forschungsprojekte. Unterstützt wurde die Tagung von der Deutsch-Französischen Hochschule Saarbrücken.
In dem dichten Programm (einsehbar auf der Webseite des Forums), das Themen zum frühen 14. Jahrhundert bis in die Gegenwart versammelte, standen Fragen nach Transferprozessen zwischen Frankreich und Deutschland unter besonderer Berücksichtigung der rezeptionsgeschichtlichen Faktoren sowie methodische Paradigmen der Kunstgeschichtsschreibung über Epochengrenzen hinweg im Fordergrund.
Eröffnet wurde der erste Tag mit einer Sitzung zum Wissenstransfer im späten Mittelalter und der frühen Neuzeit, in der Fallstudien die (Vor-)Bildhaftigkeit künstlerischer Praktiken und ihrer didaktischen, textuellen oder politischen Konnotationen diskutierten. In einem etwas größeren Sprung folgte eine Sitzung zu ästhetischen Diskontinuitäten und Austauschprozessen während des Ancien Régime, in der einerseits bildimmanente Bruchstellen der traditionellen Gattungshierarchie im akademischen Bildverständnis im Vordergrund standen und andererseits die Reaktionen deutscher Sammler- und Künstlerkreise auf die Vorbildhaftigkeit französischer Kunst und Kunsttheorie des 18. Jahrhunderts vorgestellt wurden.
Was sich in einem akademisierten System von Kunstproduktion und –Betrachtung bereits in den Werken selbst andeutet, mündete am Folgetag in eine Sitzung zur „Zirkulation des Visuellen“ in einem zerrissenen Jahrhundert: moderne Technik, neue Medien, die nie dagewesene Schnelligkeit und Informationsdichte der Zeit hinterlassen ihre Spuren im Werk und Denken der vorgestellten Künstler, die mit Wahrnehmung, Wirklichkeit und akademischer Tradition ringen. Auch die selbstreflexive Betrachtung der eigenen Zeit durch das Verstehen des Vergangenen ist aktuell: Rezeptionsästhetische Studien zu Künstlern, Kunstkritikern und Sammlungsprofilen schlossen diese Sitzung ab. Nur folgerichtig stand das 20. Jahrhundert im Blickpunkt der letzten Sitzung des 2. Tages: die Beziehungen der expressionistischen Künstlergruppen zwischen Deutschland und Frankreich, der ZERO-Gruppe und Gerhard Richters Werk nach dessen Flucht nach Westdeutschland standen hier im Zentrum.
Der letzte Tag endete mit einer Sitzung zu Grenzgängen: der Blick auf das Andere im Werk der französischen und deutschen Expressionisten sowie in der Fotografie von Germaine Krull wurden durch einen Perspektivwechsel auf Marwan, einem Künstler der Gegenwart, ergänzt.
Bereichert wurden die Sitzungen zudem von zwei Abendvorträgen, die einen sowohl für die Organisatoren wie auch die Teilnehmer zentralen Aspekt verhandelten: Unter dem Thema „Erfahrungen einer französischen Forscherin/eines deutschen Forschers in der deutschsprachigen/französischsprachigen Forschung und Lehre in der deutsch-französischen Wissenschaftslandschaft“ trugen Dr. Audrey Rieber (Universität Basel) und Prof. Dr. Marc C. Schurr (Université de Strasbourg) Erfahrungsberichte aus ihren wissenschaftlichen Laufbahnen in Deutschland und Frankreich vor und zeichneten so ein besonders lebendiges Bild der Wissenskulturen im deutschen und französischen System. Nicht nur die administrative Andersartigkeit der beiden akademischen Systeme, auch die kulturellen Wurzeln zweier Wissenschaftskulturen und ihr wechselhaftes Verhältnis zueinander im Laufe der Geschichte standen im Fokus. Dass die daraus entstehenden Debatten auch noch in der aktuellen Forschung und gerade deshalb geführt werden müssen, wurde mehr als deutlich.
Die abschließende Diskussion versuchte denn auch nicht, ein inhaltliches Résumé aus den einzelnen Beiträgen zu entwickeln, sondern konzentrierte sich in erster Linie auf Fragen nach der Notwendigkeit und praktischen Umsetzbarkeit des akademischen Austauschs und zugleich einer kulturellen Annäherung zwischen Nachwuchswissenschaftlern, die im Zentrum des Kolloquiums stand. Dass die mit der historiografisch geformten Vorstellung von Epochen verbundene kunsthistorische Auseinandersetzung mit dem Werk und ihrem Künstler oder einer Ideengeschichte eine dezidierte Methodik und spezifische Syntax entwickelt hat, liegt auf der Hand, im Rahmen des deutsch-französischen Forschungskolloquiums bot die Diversität der Beiträge einen willkommenen Anlass, das Potential eines solchen Ideenspektrums kreativ zu reflektieren und den Sinn für ungewohnte Schnittpunkte zu schärfen.
Im Saal Julius Meier-Graefe (dem großen Fürsprecher der Impressionisten, dessen Kennerschaft und Wertschätzung der Zeitgenossen nicht zuletzt auch die unter Tschudi aufgebauten Sammlungen großartiger Moderne in Berlin und München entscheidend formte) hallte ein ganz besonders schöner Gedanke dieser Debatte nach: Zwei historisch starke Forschungstraditionen geraten im wissenschaftlichen Diskurs auch heute noch an ihre Grenzen, doch birgt eben jene Entwicklung auch das Potential, an einer gemeinsamen Geschichte zu schreiben, die sich in einem (selbst)kritischen europäischen Geist entfaltet, der eben auch ihrer Kunst inhärent war.
Das detaillierte Programm ist hier einsehbar.