L.I.S.A.: Gleichzeitig hat der VHD in seiner Erklärung deutlich gemacht, dass er die in Polen eingebrachte Gesetzesinitiative, die Verwendung dieser Begrifflichkeit unter Strafe zu stellen, für falsch hält – „Strafrecht [sollte] kein Mittel von Geschichtspolitik sein“. Sehen Sie das auch so? Wie wird in Polen diese Debatte geführt?
Dr. Lehnstaedt: Grundsätzlich finde ich die Argumentation des VDH nachvollziehbar. Allerdings steht in Deutschland z.B. Holocaustleugnung unter Strafe, was ja auch ein Mittel von Geschichtspolitik ist. Polen argumentiert auf anderer Ebene, im Wesentlichen geht es um diskursive Praktiken - wer Begriffe besetzt, erlangt damit Deutungshoheit. In diesem Sinne gilt es, den Anfängen zu wehren, und das ist durchaus verständlich. Wirklich sinnvoll ist ein Gesetz dennoch nicht, denn in Polen spricht natürlich niemand von "polnischen Konzentrationslagern", weshalb sich die Initiative nur ans Ausland richtet. Und das lässt sich vermutlich kaum durchsetzen. Barack Obama sprach etwa im Mai 2012 von "Polish death camps" - aber der amerikanische Präsident wird sich schwerlich vor einem polnischen Gericht verklagen lassen.
Die polnischen Medien und der Staat beobachten allerdings genau, was im Ausland gesagt wird, denn die unpräzise Benennung der „polnischen Konzentrationslager“ ist keinesfalls nur auf Deutschland beschränkt. Insbesondere in angloamerikanischen Ländern kam es immer wieder zu offiziellen Beschwerden der Botschafter. Festzuhalten ist jedoch, dass die polnischen Medien mit ihrer „Aufregung“ vorrangig Aufmerksamkeit generieren; dabei beschweren sich durchaus polnische Zeitungen, die zum Springer-Verlag gehören, über deutsche Blätter, die ebenfalls zu Springer gehören. Ich bezweifle allerdings, dass das wirklich ein Thema ist, das viele Polen umtreibt. Unter den Wissenschaftlerkollegen wird die Sache zumindest nicht so bitterernst genommen, dort gibt es andere Prioritäten. Als z.B. 2012 das US Holocaust Memorial Museum einen offiziellen Protest des polnischen Konsulats wegen „Polish death camps“ bei einer Konferenz erhielt, erklärten die polnischen Historiker auf dieser Veranstaltung, dass es wirklich wichtigeres zu tun gebe, als sich darüber zu echauffieren.