Das Attentat auf Adolf Hitler vom 20. Juli 1944 ist mit einem wirkmächtigen Narrativ verbunden. Demnach hat eine recht überschaubare Gruppe von Verschwörern den Anschlag geplant und begangen. Im Zuge des gescheiterten Putsches konnten binnen kurzer Zeit nahezu alle Beteiligten verhaftet und verurteilt werden. Die NS-Propaganda konnte seitdem erfolgreich die Vorstellung festigen, dass es sich bei den Attentätern lediglich um eine "ganz kleine Clique" gehandelt habe. Bis heute stützen vor allem populäre Verarbeitungen der Ereignisse dieses Bild, so beispielsweise der aufwändige Hollywood-Film "Operation Walküre - Das Stauffenberg-Attentat" von 2008. Die Historikerin Dr. Linda v. Keyserlingk-Rehbein hat Zweifel an dieser Darstellung und zeigt anhand der historischen Netzwerkanalyse, dass die NS-Ermittler damals deutlich mehr über Attentäter, Beteiligte und Eingeweihte wussten, als sie vorgaben. Wir haben Frau v. Keyserlingk-Rehbein dazu unsere Fragen gestellt.
"Eine systematische Untersuchung zum Netzwerk vom 20. Juli 1944 fehlte bislang"
L.I.S.A.: Frau Dr. v. Keyserlingk-Rehbein, Sie haben im Rahmen Ihrer Dissertation die NS-Ermittlungen zum Netzwerk des 20. Juli 1944 erforscht. Es ist nicht die erste Publikation zum gescheiterten Attentat auf Adolf Hitler. Inwiefern schließt Ihre Arbeit dennoch eine Forschungslücke?
Dr. v. Keyserlingk-Rehbein: Neben Erinnerungsberichten gibt es mittlerweile eine Vielzahl von Biographien, Monographien, Sammel- und Überblickswerken, Lexika, Regionalstudien und Quelleneditionen zum 20. Juli 1944. Die meisten Publikationen porträtieren einzelne Persönlichkeiten, stellen die Ereignis- oder auch Rezeptionsgeschichte des Umsturzversuches dar oder widmen sich Fragen der Motive und Ziele der Beteiligten o.ä. Nur wenige Darstellungen haben bislang die zahlreichen und komplexen Verbindungen zwischen den Akteuren des Widerstands in den Mittelpunkt der Betrachtung gestellt. Arbeiten zu quantitativen und strukturellen Fragen sind besonders selten.
Die Bedeutung von Kontakten und Netzen zwischen den Beteiligten des Umsturzversuchs ist in der Forschung bereits mehrfach betont worden, doch eine systematische Untersuchung zum Netzwerk vom 20. Juli 1944 fehlte bislang. Mit Hilfe der Historischen Netzwerkanalyse habe ich diese Forschungslücke nun soweit wie möglich zu schließen versucht. Eine komplette Rekonstruktion des Netzwerks des 20. Juli, wie es tatsächlich bestanden hat, ist aufgrund der bruchstückhaften Überlieferung nicht mehr möglich. Hingegen lässt sich in etwa rekonstruieren und visualisieren, was die NS-Ermittler darüber herausgefunden haben. Dass sie dabei zahlreiche wichtige Kontakte des Widerstandes übersehen haben, wird durch einen exemplarischen Abgleich mit zeitgenössischen Briefen und Tagebüchern der Beteiligten sehr deutlich.
Reaktionen auf den Beitrag
Kommentar
Kommentar
Im Übrigen, die Rechtsstaatlichkeit und das Ende der Willkür des Nazismus, war einer der entscheidenden Aspekte, die den Widerstand vorantrieben. Bereits 1937 war es deutlich, dass dieser Rechtsstaat faktisch nicht mehr existent war und der Widerstand formierte sich. Wobei Widerstand sich eher passiv äußerte.
Kommentar
In der Regierungserklärung, die nach dem Umsturz abgegeben werden sollte, hieß es unter Punkt 1: "Erste Aufgabe ist die Wiederherstellung der vollkommenen Majestät des Rechts. Die Regierung selbst muß darauf bedacht sein, jede Willkür zu vermeiden, sie muß sich daher einer geordneten Kontrolle durch das Volk unterstellen." (Die Regierungserklärung, die in Unterlagen von Carl Goerdeler gefunden worden war, ist dem Ermittlungsbericht vom 5.8.1944 als Anlage beigefügt.)
Auch aus den überlieferten Grundsatzpapieren des Kreisauer Kreises geht deutlich das Ziel des Rechtsstaatsaufbaus hervor. Wesentliche Ziele waren das Ende des Nationalsozialismus, dessen Machtpolitik und Rassengedanken sowie die Beendigung der Gewalt des Staates über den Einzelnen. (Vgl. hierzu bspw. https://www.kreisau.de/kreisau/kreisauer-kreis/ sowie u.a. die Publikationen von Ger van Roon zum Kreisauer Kreis)
Kommentar