Wer viel in den sozialen Medien unterwegs ist, insbesondere da, wo Bilder eine tragende Rolle spielen, stößt früher oder später auf ein merkwürdig anmutendes Phänomen: User fotografieren von ihnen erworbene Alltagsprodukte, Duschgels etwa, Fernseher oder Schokoriegel, und laden die Bilder dann bei Instagram und Co. hoch. Andere posten unzählige Fotos aus ihrem Urlaub und lassen auf diese Weise die ganze Welt an ihren privaten Erlebnissen teilhaben. Oft folgen die Darstellungen bewusst oder unbewusst einem ganz bestimmten Inszenierungsmuster. Aber was ist der Sinn und Zweck dieser Art von Zurschaustellung des eigenen Konsums? Und was lässt sich durch eine Analyse der Social-Media-Bildwelten über die gegenwärtige Alltagskultur erfahren? In seiner Dissertation mit dem Titel „Konsum zeigen“ ist der Medientheoretiker Dr. Simon Bieling dem genannten Phänomen mit eigens entwickelten Methoden auf den Grund gegangen. Wir haben ihm dazu unsere Fragen gestellt.
„Social-Media-Bildwelten als Quelle für Alltagskultur nutzen“
L.I.S.A.: Herr Dr. Bieling, Sie haben sich in Ihrer Dissertation mit Fotoplattformen wie Instagram beschäftigt. Was hat Sie als Kunstwissenschaftler am relativ jungen Phänomen der bildbasierten Social Media interessiert?
Dr. Bieling: Es waren vor allem zwei Beweggründe. Einer von ihnen war, dass sich in den Social Media Bildpraxen entwickelt haben, die sich jenseits vieler einschlägiger Unterscheidungen bewegen, die häufig prägend dafür sind, wie wir künstlerische Werke und KünstlerInnen betrachten. Ein enger Blick auf singuläre Originalwerke und ihre UrheberInnen ist für sie denkbar ungeeignet. Die NutzerInnen der Plattformen rekurrieren auf Bildmuster, die sie gemeinsam als Konventionen herausprägen und jeweils für ihre eigenen Zwecke akzentuieren und variieren. Wenn es darum geht, zu entscheiden, aus welcher Perspektive sie fotografieren, welche Bildkomposition sie wählen, orientieren sie sich an fest etablierten Bildmustern. Meine Dissertation stellt mögliche Antworten vor, wie man solche Bildmuster angemessen untersuchen könnte. Letztlich ist die Arbeit dazu eher medientheoretisch positioniert, auch wenn sie sich teilweise an bild- und kunstwissenschaftlichen Begriffen orientiert.
Daneben gab es noch ein zweites Anliegen. Unser Umgang mit Alltagsprodukten hat durch die bildbasierten Social Media eine neue öffentliche Dimension gewonnen. Damit ist eine ganz neue Quelle entstanden, um unseren Umgang mit Konsumprodukten und die materielle Kultur der Gegenwart wissenschaftlich zu untersuchen. Meine Dissertation ist auch ein Plädoyer dafür, Social-Media-Bildwelten als Quelle zu nutzen, um die gegenwärtige Alltags- und Konsumkultur wissenschaftlich zu erforschen und die dafür notwendigen methodischen Verfahren zu erarbeiten. Einen differenzierten Blick auf die Konsumkultur richten zu können, wird für Fragen der nachhaltigen Entwicklung immer wichtiger. Hier können die Social-Media-Bildwelten eine wichtige Quellengrundlage bilden.