Von Menschen, die nicht gerade als Eremiten leben, sondern Teil einer Gruppe sein möchten, wird erwartet, dass sie sich an die Gruppe anpassen und gewisse Regeln des Zusammenlebens befolgen. Wer das tut, erntet die Anerkennung der Gruppe und erfährt ihren Schutz und ihre Solidarität. Das wiederum kann zu dem Gedanken verführen, dass besonders viel Anpassung und ein besonders folgsames Verhalten zu besonders viel Lob, Belohnung und persönlichem Glück führen könnte. Diese Rechnung geht aber nicht auf, behauptet der Psychiater und Psychoanalytiker Dr. Hans-Joachim Maaz. Im Gegenteil, wer nach diesen Prinzipien lebe, sich übermäßig anpasse und überkonform verhalte, lebe ein falsches Leben und ist ein Normopath. Schuld daran ist aber nicht nur der derart narzisstisch veranlagte Einzelne, sondern die Gesellschaft insgesamt, die einen hohen Anpassungsdruck auf ihre Mitglieder ausübe. Wie das genau zu verstehen ist, dazu haben wir dem Autor des Buches "Das falsche Leben" unsere Fragen gestellt.
"Wir Ärzte leben davon, dass Menschen 'endlich' krank werden"
L.I.S.A.: Herr Dr. Maaz, Sie haben ein Buch über den psychologischen Zustand bzw. über die seelische Verfassung unserer Gesellschaft geschrieben. Wie der Titel bereits deutlich macht, fällt Ihre Bilanz nicht gut aus: „Das falsche Leben. Ursachen und Folgen unserer normopathischen Gesellschaft“. Bevor wir auf Ihre Analyse im Einzelnen eingehen - was hat Sie zu diesem Buch bewogen? Welche Beobachtungen und Überlegungen gingen dem Buchprojekt voraus?
Dr. Maaz: Als Arzt und Psychotherapeut lebe ich praktisch von den Folgen falschen Lebens. Die meisten Menschen wissen zum Beispiel, dass sie falsch leben, wenn sie sich falsch ernähren, zu wenig bewegen, zu viel Alkohol trinken, rauchen, sich keine Zeit mehr für Erholung lassen, im Dauerstress durch Leistungs- und Konkurrenzdruck usw. sind und sie ändern es trotz besseren Wissens nicht. Sie können es meistens nicht ändern, weil sie Opfer innerer „Antreiber“ sind, die frühen Erziehungsmustern entsprechen, die man eben nicht einfach aufgeben und verlassen kann (für frühe Prägungen gibt es keine „Heilung“ im Sinne des Ungeschehen-Machens, sondern bestenfalls „Genesung“ durch Einsicht, Verstehen und mühevolle Verhaltenskorrekturen – d. h. „Genesung“ ist ein gesünderer Umgang mit der Störung).
Aber wir sind alle auch in soziale, politische, moralische, ökonomische Zwänge eingebunden, die oft gestörtes Verhalten favorisieren (z. B. übermäßige Leistungsforderungen, Perfektionismus, Stärkekult, sich übermäßig darstellen und verkaufen usw.), so dass jede Bewegung aus dem geforderten Verhalten heraus negative Konsequenzen nach sich zieht. (Zu DDR-Zeiten war mehr Mut, mehr Kritikfähigkeit, mehr Individualisierung, mehr Offenheit - was der „Gesundung“ diente, sofort politisch subversiv und im kapitalistischen Deutschland besteht die Gefahr, wenn man Schwächen, eigene Fehler und Begrenzungen zugibt, um den Leistungsstress zu mildern, dass man sofort an „Marktwert“ verliert.)
Wir Ärzte leben davon, dass Menschen „endlich“ krank werden, damit eine Chance entsteht, aus dem Bedrohungserleben und dem Leidensdruck heraus bittere Erkenntnis über das eigene falsche Leben zuzulassen und Mühen auf sich zu nehmen, durch Veränderung des Lebensstils zu gesunden. Und es bedeutet immer Kampf, Auseinandersetzung und Konflikte mit sich selbst und dem sozialen Umfeld. Mit diesem medizinischen Erfahrungswissen und den wissenschaftlichen Erkenntnissen der Entwicklungspsychologie, der Säuglings- und Kleinkindforschung und der Hirnforschung war es nur noch ein kleiner Schritt, typische, d.h. mehrheitlich wirksame pathogene Einflüsse des gesellschaftlichen Lebens, die durch Erziehung, durch ökonomische, moralische und religiöse Zwänge zur Selbst-Entfremdung vieler Menschen beitragen, zu identifizieren und die Entwicklung einer „Normopathie“ zu verstehen.
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Aber Selbstreflexion ist ja auch nicht jedermanns Sache, weil dazu die kognitiven Fähigkeiten fehlen. Was, u. A. auch auf die Eltern zurück zu führen ist. Und das betrifft leider auch noch die Masse der Menschheit, wie man, wenn man genau hinzieht, sehr gut erkennen kann.
Mein Ansatz war immer, auch schon vor der 6jährigen Therapie, RADIKALE AKZEPTANZ DES IST-ZUSTANDES.
Nur so kommt man weiter. Nützt einem nichts, die Leute dafür noch zu hassen, was sie einem angetan haben. Die waren alle selber Opfer und wussten bzw wissen es nicht besser. Wenn du das erkennst, bist du deinen "Feinden" quasi schon entkommen. Weil damit die Verarbeitung des Geschehens einher geht.
Meine These - die sich immer wieder bestätigt- ist, dass der Normopath nichts dazu lernen will. Das gepaart mit der Arroganz der -ich kann es nicht anders formulieren- Dummheit ist der Tod unserer Gesellschaft und Natur.
Seht euch um, wer beherrscht wird und wie. Und dann entzieht euch dem. PC ist die neue Geißel. Moral, längst durch die 68er abgeschafft, kehrt zurück in pervertierter Form von "Meine Meinung ist die richtige und du bist ein NAZI wenn du es anders siehst", Zwabgstoleranz, Gender und Sprachpolizei. Dazu noch "unabhängige" Faktenchecker und Framing und dann ein "Herzlich willkommen im 21. Jhrdt."
Als ich vor 26 Jahren angefangen habe mich mit dem Thema zu befassen, die Zusammenhänge zu erkennen zwischen der verkorksten Erziehung durch verkorkste Eltern und Erzieher, deinem kompletten Lebensweg und deinem "Programm" das du abspulst und Leben nennst, ist ganz schön viel passiert in diesem Land und generell auf der Welt.
Und es wird immer schlimmer.
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Im Namen von Irene A.K. mag ihren Kommentar weiter ausführen.
Es gibt zahlreiche Gruppen die sich mit dem Thema der Selbstfindung beschäftigen. Ich selbst habe mich über das Thema Wahrheitsfindung gesund philosophiert. Deswegen über folgenden Erkenntnisweg nichtn wundern:
Ich bin. Ich bin "je suis" - ich bin Jesus und ich bin gerüstet, die versteckte Nachricht hinter dem französischen Ausdruck. Für was gerüstet? Für das durchchristet-Sein. Christliche Manier. Das Bewusstsein über die Kräfte die in uns und um uns wirken, konnen alle auf Liebe zurückgeführt werden. Die Seele ist unser Antrieb und pure Liebe, sagt man. Sie feuert unsere Ideale und Antriebe an, selbst das morgentliche Aufstehen. Dein Kern, dein Selbstwert ist Liebe. Und nun ein paar Eigenschaften der Liebe: zeitlos=>Geduld, raumlos=>grenzenlos, harmoniesuchend, reflektierend=>gerecht, die drei Gesichter: Verstehen Mitgefühl Annehmen - die sich gegenseitig ergänzen. Liebe ist die facettenreichste Gabe die selbst alle Schatten und Teufel erklären und mit dem Verstehen (Mitgefühl und Annehmen) unseren Spielplatz Erde zum Paradies machen. Um es zu verstehen muss man die Mut haben Ängsten zu sagen "ich habe keine Angst", dem Teufel zu sagen "Teufel verschwinde" und dem Feind der Veränderung begegnen: Bequemlichkeiten sind Verführungen, Verführungen sind ...no? Wer weiß es? Schau der Wahrheit ins Gesicht!:-) Es macht riesigen Spaß, wenn man versteht und irgendwo ein Kontrolllämpchen angeht und dich bestätigt. Wünsche euch was! :-***
Philanthrop, Philosoph, Antroposoph, Prophet uZ
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Warum bedient ihr euch dieser Form der Überheblichkeit?
Wollt ihr dadurch eure Überlegenheit gegeüber dem kleinen Mann ausdrücken, oder ihm helfen zu verstehen?
Wenn ich die Masse erreichen möchte, sollte ich auch ihre Sprache sprechen... Oder ist es, das man die Hand, die einen füttert nicht beißen soll ?
Was mir persönlich, in euren gelungenen Interpretationen, noch fehlt, ist die Frage nach dem Verursacher....
Oder hat sich das alles im Laufe der Evolution so entwickelt? Ist dort nicht irgendwo etwas, was einen Nutzen aus dieser abnormalen Situation zieht?
Und wenn ja, sollten wir uns gemeinsam unseren Gegnern stellen. Aber auf einem höheren Niveau, auf dem nachdem wir alle streben. Anerkannt, geliebt und gebraucht zu werden...
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Lassen wir dankbar sein, dass es H.J. Maaz gibt und Arno Gruen gab, der leider nicht mehr lebt.
Beide sind wertvoll.
LOVE AND MERCY ist die Losung
ein schöner einfacher und genialer (das passt oft zusammen) Song von Brian Wilson
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"Und haben wir tatsächlich keine Aussicht auf Heilung?"
Ich glaube schon. Indem wir lernen, uns selbst zu glauben.
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