Gut zwei Monate berichtete 1963 der damals frisch promovierte Kunsthistoriker Martin Warnke für eine Tageszeitung über den Auschwitz-Prozess in Frankfurt. Seine Artikel sind zuletzt erstmals zusammenhängend in einem kleinen Band erschienen. Darin setzt sich Prof. Dr. Martin Warnke in einem abschließenden Kapitel auch mit Fragen der Kunst- und Bildgeschichte auseinander, die sich aus seinen Erfahrungen mit dem Prozess ergeben haben. Wir haben den Träger des Gerda Henkel Preises 2006 interviewt.
"Ich kann mich kaum mehr in die damalige Lage versetzen"
L.I.S.A.: Herr Professor Warnke, fünfzig Jahre nach Ihren Berichten für die Stuttgarter Zeitung über den Auschwitz-Prozess sind Ihre Artikel gesammelt in einem Band erschienen: Zeitgenossenschaft. Zum Auschwitz-Prozess 1964. Wenn Sie heute mit historischen Abstand Ihre damaligen Berichte lesen, welchen Eindruck gewinnen Sie? Würden Sie heute auch so schreiben? Mit anderen Worten: Wie sehr spürt man die Zeitgenossenschaft in den Berichten? Inwiefern sind die Berichte selbst zum historischen Untersuchungsgegenstand geworden?
Prof. Warnke: Ich habe die Artikel erst vor einem Jahr etwa, als man sie mir wieder vorlegte, erneut gelesen. Ich gestehe, dass ich auch, wie mancher heutige Leser, überrascht war - nicht nur über ihren Informations-, sondern auch über ihren Emotionswert. Ich kann mich kaum mehr in die damalige Lage versetzen, schätze aber den Einfluss der äußeren Umstände recht hoch ein: Die Eingabe in die Fernschreiber unmittelbar nach den Verhandlungen ließ kaum Raum für eine reflektierte Beurteilung zu. Ich würde heute eine entschiedenere Be- und Verurteilung von mir erwarten. Eine moralisierende Emphase aber würde mir wahrscheinlich auch heute nicht angemessen erscheinen.