In den USA ist die öffentliche Förderung der Geisteswissenschaften keine Selbstverständlichkeit mehr. In Europa dagegen sind die Staaten nach wie vor daran interessiert, die Geisteswissenschaften für die kommenden Herausforderungen fit zu machen. Wir haben die Soziologin und Wissenschaftsforscherin Prof. Dr. Helga Nowotny zur Zukunft der Geisteswissenschaften in Europa befragt. Sie war von 1996 bis zu ihrer Emeritierung 2002 Professorin für Wissenschaftforschung an der ETH Zürich und ist seit 2010 Präsidentin des Europäischen Forschungsrates.
"Der Staat hat nie besonders viel geisteswissenschaftlich Forschung gefördert"
L.I.S.A.: Frau Professorin Nowotny, in wenigen Worten: Wie sehen Sie die Zukunft der Geisteswissenschaften? Eher rosig oder eher düster?
Prof. Nowotny: Wenn ich so vor die Wahl gestellt werde, sage ich: Eher rosig. Ich bezeichne mich manchmal als realistische Optimistin. (lacht)
L.I.S.A.: Das überrascht, denn in den USA hat der US-Kongress im Frühjahr die Förderung der Wissenschaften recht eindeutig von deren Bedeutung für ökonomische Interessen und die nationale Sicherheit abhängig gemacht. Beobachter sehen darin das Ende der Geisteswissenschaften in den USA. Teilen Sie diese Ansicht?
Prof. Nowotny: Meinem Empfinden nach richtet sich die aktuelle Entwicklung in den USA vor allem gegen jene Wissenschaften, die sich einem unmittelbaren Wertschöpfungszusammenhang entziehen. Das sind nicht nur die Geisteswissenschaften.
In den USA hat der Staat aber nie besonders viel geisteswissenschaftlich Forschung gefördert. Stattdessen gibt es dort eine recht lebendige und vielfältige Landschaft an Stiftungen und privaten Einrichtungen, die oftmals geisteswissenschaftliche Forschung voranbringen. So lange diese Vielfalt bestehen bleibt, werden auch die Geisteswissenschaften nicht zugrunde gehen.