Über die Fankultur im Fußballstadion wurde in jüngster Zeit kontrovers diskutiert. Ungeachtet der Debatten um Sicherheit und Gewalt in den Stadionrängen, ist es heute selbstverständlich, dass Sportveranstaltungen von einem anfeuernden Publikum begleitet werden. Doch wie entstand eigentlich die moderne Publikumskultur im Sport? Welche Rolle spielte dabei die Entstehung des Stadions als Sportraum, das dem Publikum einen festen aber abgegrenzten Raum zugestand? Und welche Bedeutung hat die Identifikation mit der Masse vor dem historischen Hintergrund der Weimarer Republik? Prof. Dr. Noyan Dinçkal, Professor für "Europäische Wissens- und Kommunikationsgeschichte der Moderne" an der Universität Siegen, hat sich dem Zusammenhang von Sportraum und Sportkonsum gewidmet. Wir haben ihm dazu unsere Fragen gestellt.
"Stadien wurden auch aus Gründen der Legitimationsbeschaffung und Imagepflege gebaut"
L.I.S.A.: Herr Prof. Dr. Dinçkal, Sie beschäftigen sich mit dem Zusammenhang von Sportraum und Sportkonsum in der Weimarer Republik und beschreiben, wie sich in den 1920er Jahren das Stadion zum zentralen Ort des Sports etablierte. Wie kam es überhaupt dazu, dass zu dieser Zeit Stadien entstanden? Was führte auf Sport- oder gesellschaftlicher Ebene dazu, dass Sport massenhaft konsumiert wurde?
Prof. Dinçkal: Die Entwicklung des Sports zu einem kulturellen Massenphänomen bedeutete immer auch die Entwicklung zum Zuschauersport. Stadien sollten ja nicht nur etwa das Erbringen und die Vergleichbarkeit von sportlicher Leistung, sondern vor allem den Konsum der Wettkämpfe ermöglichen. Dabei bedingten sich die mit der zunehmenden Popularität des Sports einhergehende Entwicklung des Sportkonsums und der Stadionboom in den 1920er Jahren gegenseitig. Und obwohl in den 1920er Jahren von Seiten der Sportverbände immer wieder Kritik am Stadionbau geäußert und stattdessen die Errichtung kleinerer kommunaler Sportplätze zur Förderung des „Breitensports“ gefordert wurde, standen 1930 in knapp über 100 Städten mehr als 125 Stadien zur Verfügung. Das hat natürlich auch etwas mit der kommunalen Sportförderung zu tun. Kommunen konkurrierten in den 1920er Jahren um den Titel „Sportstadt“, ließen aus Gründen der Legitimationsbeschaffung und der Imagepflege Stadien bauen, übernahmen Infrastrukturmaßnehmen oder bürgten für Kredite und beeinflussten somit den Konsum von Sport wesentlich. Diese Maßnahmen bildeten die Basis der in der Weimarer Zeit erreichten hohen Zuschauerzahlen, die für die Kommunen auch wegen des Fremdenverkehrs nicht ganz unerheblich war.
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wie würden sie denn Aussagen wie "neue Formen der Distinktion im Sportkonsum", "neue Form des Massenerlebens" oder schon in der Frage "Sie zeigen, wie diese neue Form des Sportkonsums im Stadion erst erlernt werden musste." die in der Antwort ja nicht widerlegt wurde denn beschreiben? Auch sonst habe ich den Eindruck, es würde etwas gänzlich Neues beschrieben werden. Daß es natürlich auch gravierende Unterschiede gab ist schon logisch, nach zum Teil Jahrtausenden. Und die Lager bei den byzantinischen Wagenrennen waren eher weniger religiös als politisch aufgeladen. Überhaupt - und ich muß gestehen, ich bin hier alles andere als ein Fachmann, erscheint mir eher der antike griechische Sport religiös konnotiert, bei den Römern war das weitaus profander. Über die beteiligte Alltagsreligiosität hinaus. Aber die gibt es heute auch, wenn man an das Bekreuzigen von Sportlern vor ihrem Einsatz denkt. Ohne Sportwissenschaftler zu sein habe ich den Eindruck, daß Mannschafts- und Seitenbildung ein Teil des Sports ist.
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woran machen Sie denn genau fest, dass Herr Dinçkal behauptet, etwas Neues sei entstanden? Im Übrigen unterscheiden sich die antiken Körperpraktiken doch mindestens in einem Punkt wesentlich vom Sport der Weimarer Republik oder des Kaiserreichs - in der Antike waren diese Praktiken, soweit ich informiert bin, sehr deutlich in bestimmte, religiös-sakrale Ritualhandlungen eingebettet.
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