L.I.S.A.: Sie zeigen in Ihrem Buch, dass der CIA im Wesentlichen ein Kind des Kalten Kriegs war, dass der Kalte Krieg das natürliche Biotop der Agency war. Der Kalte Krieg ist seit mehr als 25 Jahren beendet, der CIA aber mit Blick auf seine Befugnisse heute mächtiger denn je. Wie passt das zusammen? Das auch vor dem Hintergrund, dass der CIA in vielen entscheidenden Fällen versagt – Koreakrieg, 9/11 – oder ahnungslos agiert hat, zum Beispiel bei der Unterstützung von Islamisten in Afghanistan.
Prof. Stöver: Innenpolitisch setzten die überraschenden Anschläge des 11. September 2001 auf das Pentagon und das World Trade Center, in dem sich auch eine Dependance der Agency befunden hatte, mit fast 3.000 Toten die erst wenige Monate amtierende Regierung von George W. Bush und damit auch die CIA, die solche Überraschungen ja eigentlich verhindern sollte, unter massiven Druck. Die Agency stand erneut vor einem Desaster ihrer Geheimdienstarbeit, einem, wie es in der Öffentlichkeit schnell hieß, „neuen Pearl Harbor“. Bei aller berechtigten Kritik an der CIA: Die fehlende zeitgenaue Warnung vor dem japanischen Angriff auf den US-Flottenstützpunkt im Pazifik Anfang Dezember 1941 konnte nicht der CIA zugerechnet werden – es gab sie schlicht noch nicht, – und so völlig ahnungslos, wie die US-Führung unter Franklin D. Roosevelt sich gab, war sie bekanntlich nicht, was danach die Basis für Verschwörungstheorien wurde. Beim Angriff Nordkoreas auf den Süden des Landes am 25. Juni 1950 lag die CIA dagegen gar nicht so weit daneben; man hatte drei Monate vor dem Angriff auf den Juni getippt.
Wie immer auch die Vorgeschichte für die CIA war: Die CIA stand unter massivem Druck. George W. Bush reagierte auf den 11. September 2001 unter anderem mit einer Fülle neuer Sicherheitsgesetze, die in den folgenden Jahren kontinuierlich erweitert wurden und das innenpolitische Klima in den USA bis heute massiv veränderten. Mit dem Department of Homeland Security (DHS) entstand schon 2002 eine neue Sicherheitsbehörde mit umfassenden Befugnissen. Alles dies schien auf eine Entmachtung der erneut gescheiterten CIA hinauszulaufen.
Dies war für die Agency umso bitterer, weil sie glaubte, erst wenige Jahre zuvor eine weitere gravierende Legitimationskrise überwunden zu haben: Das Ende des Kalten Krieges bescherte ihr nicht nur einen der größten Triumphe. Es nahm ihr ironischerweise gleichzeitig ihre zentrale Aufgabe, die ihre Arbeit in den letzten über vierzig Jahren bestimmt hatte: die Bekämpfung der Sowjetunion und des Kommunismus. Ein neues, vergleichbares und konsistentes Feindbild lag noch nicht vor und die Agency tat sich auch in den folgenden Jahren sehr schwer, dieses zu entwickeln. Der islamistische Terrorismus rückte tatsächlich erst mit den Anschlägen des „9/11“ zentral ins Blickfeld. Auffällig ist die bemerkenswerte Ahnungslosigkeit der CIA vor allem über die weitere Entwicklung von Al-Qaida. So wusste man nicht, dass sich die Gruppe um Osama bin Laden bereits Anfang der Neunzigerjahre so weit konstituiert hatte, dass sie 1993 den ersten Angriff auf das World Trade Center durchführen konnte. Die entscheidenden Hinweise zur Aufklärung der Tat kam bezeichnenderweise vom FBI, die zudem deutlich machten, dass der Drahtzieher, Omar Abd al-Rahman, der „blinde Scheich“ 1990 wohl sogar mit Unterstützung der Agency in die USA gekommen war.
Die Budgetkürzungen und Entlassungen sowie die Schließung von über zwanzig CIA-Filialen seit 1992 schienen kaum einen anderen Schluss zuzulassen als den: die CIA hatte sich anscheinend überlebt. Parallel dazu verschlechterte sich das Verhältnis zwischen Langley und dem Weißen Haus unter Präsident Bill Clinton unübersehbar. Das zeigte sich auch in der Amtszeit der CIA-Direktoren. Nach Robert Gates (bis 1993), R. James Woolsey (1993-1995) und John M. Deutch (1995/96) durfte erst George J. Tenet (1997-2004) wieder etwas länger bleiben. Er reorganisierte einen Teil der Agency, bevor er 2004 wohl auch aus Protest gegen die amtierende US-Regierung zurücktrat.
Vor diesem Hintergrund war es eine Überraschung, dass der Anschlag vom 11. September 2001 keinen massiven Kompetenzverlust der CIA oder sogar das Ende der Agency in ihrer bisherigen Form bedeutete. Anders als in Langley befürchtet und wohl anfänglich auch geplant, wurde das Department of Homeland Security aber nicht zur vorgesetzten Dienststelle der CIA. Die Agency verlor zwar ihre bisherige institutionelle Sonderstellung, als sie durch das 2004 in Kraft gesetzte Intelligence Reform and Terrorism Prevention-Gesetz dem neugeschaffenen Amt des Director of Intelligence (DNI) unterstellt wurde, der damit gleichzeitig die gesamte Geheimdienstkoordination übernahm, die bis dahin der Director of Central Intelligence (DCI) wahrgenommen hatte. Der DCI amtierte nun nur noch als der dem DNI berichtspflichtiger Chef der CIA (D/CIA).
Gleichzeitig gewann die Agency aber neue Zuständigkeiten. Schon das Patriot-Gesetz und die Military Order erlaubten der CIA 2001, auch im Inland zu ermitteln – ein Zugeständnis, das in den Siebzigern noch zu einem öffentlichen Skandal und Untersuchungsausschüssen geführt hatte. Telefonate durften abgehört, Häuser und Wohnungen ohne Wissen der Bewohner, persönliche Daten, aber auch Server von US-Unternehmen durchsucht werden. Außerhalb der USA bekam sie sogar noch größere Rechte, sowohl gegenüber US-Bürgern als auch gegenüber Ausländern, die unbeschränkt und ohne Gerichtsverfahren festgehalten und „verschärft“ befragt werden durften. Viele der dafür eingerichtete Black Sites des „CIA-GuLag“ (A. W. McCoy) wurden erst durch Whistleblower bekannt, aber es gibt bis heute keine endgültige Liste. Zum wichtigsten dieser geheimen Orte, der geradezu zur Chiffre für den Freibrief wurde, den die CIA durch den Krieg gegen den Terror erhielt, wurde das 2002 entstandene „Camp Delta“ in Guantánamo auf Kuba – trotz der ebenso traurigen Berühmtheit etwa von Abu Ghraib oder Camp Bucca im Irak.
Den Hintergrund dieser doch sehr merkwürdigen Logik, dass die CIA trotz ihres eindeutigen Versagens gegenüber dem islamistischen Terror doch fast unbeschadet aus ihrer Niederlage kam, bildete vor allem das in der amerikanischen Gesellschaft und Geschichte tief verwurzelte Bedrohungsgefühl. Ironischerweise bedient die CIA trotz ihrer Fehler in letzter Konsequenz die Hoffnung der US-Bevölkerung, „wirklich alles“ zu tun, um in mehr Sicherheit zu leben.