Seit der Wahl der neuen griechischen Regierung unter Ministerpräsident Alexis Tsipras hat in Europa eine Debatte darüber begonnen, welche Wirtschafts- und Finanzpolitik am besten geeignet ist, die Finanz- und Eurokrise in den Griff zu bekommen. Viele Stimmen sind dabei nicht neu, finden aber nun Gehör in einer breiteren Öffentlichkeit. Was bisher als unumstößliche Wahrheit galt - Sparen für neues Wachstum - wird zunehmend in Frage gestellt. Stattdessen wird in Politik, Medien und Wissenschaft wieder offen über Fiskalpolitik und keynesianische Wirtschaftsmaßnahmen diskutiert - Konzepte, die bis vor Kurzem weitgehend tabu waren. Wir haben Prof. Dr. Arne Heise, Finanzwissenschaftler der Universität Hamburg, unsere Fragen zur neuen Debatte gestellt.
"Diese Geschichtserzählung muss sich endlich ändern"
L.I.S.A.: Herr Professor Heise, Sie sind Finanzwissenschaftler an der Hamburger Universität für Wirtschaft und Politik. Können Sie uns verständlich erklären, warum die frisch gewählte Regierung in Griechenland nicht nur Politik und Medien in Unruhe versetzt, sondern auch die Finanzmärkte aufwirbelt?
Prof. Heise: Die neue griechische Regierung ist angetreten (und genau dafür gewählt), eine andere Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik zu betreiben als sie in der jüngsten Vergangenheit nach der Weltfinanz- und Eurokrise von den früheren Regierungen auf Druck der so genannten Troika (Vertreter der EU, der EZB und des IWF als Gläubiger der griechischen Regierung) durchgesetzt wurde. Diese als ‚Sparpolitik‘ oder ‚Spardiktat‘ bekannt gewordene Haushaltskonsolidierungspolitik hat große soziale Verwerfungen in Griechenland ausgelöst, ohne das vorgebliche Ziel, nämlich die Grundlagen für größere wirtschaftliche Dynamik und den Abbau der Staatsverschuldung, zu erreichen.
Obwohl deshalb eine Neuorientierung der griechischen Politik zwangsläufig erscheint, sehen viele EU-Politiker und Regierungsmitglieder anderer Staaten diese Entwicklung mit Besorgnis, weil sie ihren Wählern nun erklären müssen, dass dies nicht bedeutet, die Steuerzahler anderer Länder müsste für Griechenland eintreten. Tatsächlich ist eine neue Politik in Griechenland ja darauf gerichtet, die Grundlagen für die Rückzahlung von ‚Notkrediten‘ durch den Europäischen Stabilisierungsmechanismus (ESM, der letztlich aus Steuermitteln finanziert wird) zu verbessern, dennoch wurde den Menschen medial beständig eingeredet, Griechenland lebe über seine Verhältnisse und müsse deshalb nun endlich ‚sparen‘ – wer dies in Frage stellt, scheint folglich auf die Hilfe anderer zu bauen. Diese Geschichtserzählung muss sich endlich ändern!
Die Finanzmärkte reagieren hingegen durchaus verständlich etwas ‚verschreckt‘, weil bei allzu starren Haltungen aller beteiligter Regierungen ein Staatsbankrott Griechenlands und ein Zusammenbruch der Eurozone grundsätzlich nicht ausgeschlossen werden können und mithin dieses Szenario wieder etwas wahrscheinlicher geworden ist – auf diese neue Informationslage reagieren Finanzmarktteilnehmer nun einmal sehr sensibel.
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Der selbstbewusste deutsche Exportweltmeister dagegen kultiviert trotzig den Stolz auf seine Leistungen, die unter anderem durch jahrelang zurückgehende Reallöhne und einen dramatische Rückbau der sozialen Sicherungssysteme möglich wurden. Vielleicht reagiert er deshalb so ungehalten, wenn man ihm entgegenhält, dass die Gewinne der einen die Schulden der anderen sind, und dass Nachhaltigkeit in der Europäischen Union und schon gar nicht in der von Währungsschwankungen geschützten Eurozone nicht auf der neoliberalen Devise „The Winner takes it all“ beruhen kann. Wenn alle systematisch den Gürtel Jahr für Jahr enger schnallen, endet das im kollektiven Selbstmord. Man kann eben nicht beides haben, die makroökonomischen Vorteile des weltweit größten Wirtschaftsraums und einen erbitterten Standortwettbewerb seiner Mitglieder untereinander.
Könnte es sein, dass Juristen wie Wolfgang Schäuble solche fundamentalen volkswirtschaftlichen Zusammenhänge nicht verstehen können? Oder ist die Weigerung die Notwendigkeit eines europäischen Überschussrecyclings einzusehen auf den politischen Populismus hierzulande zurückzuführen. Das Bild von der sparsamen schwäbischen oder im Falle Schäubles badischen Hausfrau, die Einnahmen und Ausgaben in ihrer Haushaltskasse peinlich genau im Gleichgewicht hält, ist den Wählern ja so einfach zu vermitteln. Dass das eine Milchmädchenrechnung ist, und Mikro- nur sehr mittelbar mit der Makroökonomie zu tun hat, bedürfte dagegen einer aufklärerischen Anstrengung.
Es ist also höchste Zeit, auf Ultimaten zu verzichten und die Vorschläge der Athener Reformer ohne Polemik zu prüfen, anstatt beinhart auf die Einhaltung von Vereinbarungen zu pochen, die man den Vorgängerregierungen in Athen in Stunden höchster Not aufgezwungen hat.
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Wenn die öffentliche Hand mehr investieren soll, dann ist überhaupt nicht einzusehen, warum das in einem völlig überschuldeten Land durch noch mehr Schulden geschehen soll, solange riesige Privat- und Geschäftsvermögen im Land vorhanden sind, die so gut wie nichts zum Funktionieren des Staatswesens beitragen. Hier könnten Syriza & Kollegen ja einmal neue Akzente setzen.