Wenn zwei Genies, zwei Titanen jeweils ihrer Kunst oder Wissenschaft miteinander verabredet sind, erwartet sich die teilnehmende Welt etwas Besonderes, einen fruchtbaren Synergieprozess etwa oder wenigstens einen schönen Eklat (Genies sind eitel!) – so auch damals bei der vielfach diplomatisch vermittelten Begegnung zwischen Goethe und Beethoven im seinerzeitigen Sommerkurbad der europäischen Aristokratie, im böhmischen Bad Teplitz (Juli 1812).
Die Begegnung wurde zur großen Enttäuschung – die beiden konnten nicht miteinander. Beethoven missfiel letztlich Goethes höfisch-geschliffenes Gebaren, Goethe missfiel Beethovens ungehobeltes Temperament, das er auch in dessen Musik walten sah; sie trafen sich nie wieder. Um bei Goethe zu bleiben: er ignorierte Beethovens Tod (1827), und er scheute Beethovens Musik, mutmaßlich, um sich nicht aus dem seelischen Gleichgewicht bringen zu lassen[1] – Beethovens Musik kann wahrlich aufwühlen, bei den großen Todesfeiern für Goethe war sie Programm (Abb. 1[2]). Beide haben es aber an Respekt voreinander und Goethe hat es an menschlichem Verständnis für Beethoven nicht fehlen lassen. Das wurde lange verkannt. ‚Schuld‘ daran ist ein Bild von Beiden auf der Promenade zu Teplitz (Abb. 2, Abb. 3)[3], das in unzähligen Nachdrucken eine Legende verbreitete, die bis heute in unserem kulturellen Gedächtnis residiert.
Hofschranze versus Freigeist – eine boshafte Legende
Diese Legende geht so: Goethe habe wie die Hofschranzen „mit abgezogenem Hut tief gebückt an der Seite“ gestanden, als die kaiserliche Familie vorbei promenierte, „ich aber drückte meinen Hut auf […] und ging mit untergeschlagenen Armen mitten durch den dicksten Haufen“. Das schrieb Beethoven am 15. August 1812 an Bettina von Arnim – angeblich. Denn dieser Brief ist frei erfunden, wobei über die Motive an dieser Stelle nicht zu spekulieren ist. Der Brief steht in v. Arnims Roman „Ilius Pamphilius und die Ambrosia“ (Leipzig 1848), wurde seinerzeit mir nichts, dir nichts und wird hier und dort auch heute noch für bare Münze gehalten. Dabei ist die Veröffentlichungsform – ein Briefroman – ein deutlicher Hinweis auf fiktives Schreiben, und auch der Titel könnte stutzig machen; er ist ebenfalls gut erfunden und nicht ohne Anzüglichkeit, auf Deutsch nämlich: „Jene Sägefliege und das aufrechte Traubenkraut“ – „pamphilius“, muss man wissen, ist ein Buchstabenspiel mit dem Namen „Philipp Nathasius“, einem Briefpartner von Bettina v. Arnim.
In der Ausstellung kann man selbst versuchen, die Fälschung zu identifizieren. Dort liegen neben den von der Autorin eigenhändig korrigierten Druckfahnen aus „Ilius Pamphilius“ (2. Aufl., 1848; im Besitz des Goethe-Museums) auch die Handschriften der drei Beethoven-Briefe, die dem Roman als Vorlage dienten; nur zwei der Briefe sind echt. Glücklicherweise hängen moderne Druckschriften der drei Briefe an der Wand über den Vitrinen. Da liest man dann etwa auch, dass wohl „Geheimräthe mit Titel und Ordensbändern“ von Königen oder Fürsten gemacht würden (Goethe war ein solcher Geheimrat!), nicht aber „große Menschen“, „Geister, die über das Weltgeschmeiß hervorragen“ – boshaft und Teil eben der Legende vom Zusammentreffen in Teplitz, die das Gemälde so wirkmächtig verbreitete. Sie fand, als Vorführung demütigen Untertanengeistes hie und proletarischem Freigeist dort ideologisch knapp passend, sogar Eingang in Schulhefte der DDR; ein Exemplar davon ist in der Ausstellung zu sehen.
Seltene Dokumente und schöne Lieder
Das Nachwirken der im Wortsinne legendären Teplitzer-Begegnung in der literarischen und der kulturellen Welt ist eine von drei Abteilungen der Ausstellung; eine zweite Abteilung gilt dem biographische Blick auf diese Begegnung; die dritte gilt dem Verhältnis von Literatur und Musik. – In der Abteilung Nachwirken präsentiert die Ausstellung einen Leckerbissen für die Fachwelt: markante Seiten der Korrespondenz zwischen dem Verleger Anton Kippenberg, dem Stifter der Sammlung im Goethe-Museum[4], und dem französischen Musikkritiker und Literaturnobelpreisträger Romain Rolland (1874–1944); beide führten eine überaus sachverständige, aber auch kontroverse Diskussion über Beethoven, über Charakter, Bedeutung, Nachwirken und die Beziehung zu Goethe, dabei eben auch über die Begegnung in Teplitz.
In der Abteilung Literatur und Musik hat sich das Goethe-Museum etwas Besonderes einfallen lassen. Da dort Hörstationen derzeit schlecht zu installieren sind, hat es Tonieboxen aufgestellt (was sogar die Bildzeitung anerkennend notierte, Bild, 22.04., S. 9) und als Schalter den kleinen Dirigenten gewählt (Abb. 4). An den Wänden dabei sind die Noten zu lesen, in der Abbildung ist es Migons Lied aus „Wilhelm Meister“ („Nur wer die Sehnsucht kennt …“). Beethoven hat 20 Lieder und Gesänge von Goethe vertont; 10 davon nebst weiteren berühmten Vertonungen, darunter auch Beethovens Schauspielmusik zu Goethes Trauerspiel „Egmont“, kann man sich anhören – die Tonieboxen verführen geradewegs dazu.
In allen drei Abteilungen der Ausstellung werden seltene und kostbare Exponate gezeigt – Editionen von letzter Hand, Autographen, Notenblätter von erster Hand und auch Realien aus der Zeit. Sie führen an Goethe und Beethoven als „große Menschen“ heran, als „Geister, die über das Weltgeschmeiß hervorragen“ (s.o.). Beiden mangelte es diesbezüglich ja nicht an Selbstbewusstsein: Goethe sah sich als Olympier, was schon seine Dichtung zeigt, Beethoven vermeinte, sich mit und in seiner Musik „der Gottheit mehr als andere Menschen zu nähern“[5] und fühlte sich beim Komponieren vom „allmächtigen Gott“[6] inspiriert. Sehr irdisch liegt dazu der Taktstock von Johann Nepomuk Hummel (ein geschnittenes Rohr, im Besitz des Goethe-Museums) bei einem Notenblatt (ebenfalls im Besitz des Goethe-Museums), das zwei Zeilen seines Klaviersatzes der 8. Sinfonie Beethovens (3. Satz) notiert; Hummel schrieb sie „einige Tage vor seinem Hinscheiden“ (am 17. Okt. 1837, in Weimar), wie Betty (Elisabeth) Hummel am „14. Decbr. 1839“ hand- und unterschriftlich bestätigt. Hummel, seinerseits renommierter Klaviervirtuose, Komponist und Hofkapellmeister (von 1819 bis zu seinem Tode in Weimar), war einer der besten Freunde und auch Unterstützer Beethovens. Die letzte Notierung also seiner zahlreichen Transkriptionen von Beethovens sinfonischer Musik hört man in der Ausstellung als Video, vergrößert auf dem Bildschirm sieht man dazu das historische Notenblatt – ein schöner Einfall (Abb. 5[7]).
Pioniere des Urheberrechts
In die Abteilung Literatur und Musik gehört die Urheberrechtsfrage. Sie kam im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts auf, Goethe hat sie begriffsbildend befördert. Mit seinen Publikationserfolgen im Rücken hatte er energisch gegen die bestehende Praxis „Ehre dem Autor, Geld dem Verleger“ protestiert und seinem Verleger Johann Friedrich Cotta das Recht am „geistigen Eigentum“ abgerungen. Dies Recht ließ er sich mit fürstlichem Privileg vom Preußischen König und vom deutschen Kaiser bestätigen, da die Versammlung des Deutschen Bundes seine Anfrage betr. „geistiges Eigentum“ (1825) nicht beschieden hatte. Von daher gilt Goethe als Pionier des Urheberrechts für Schriftautoren; Hummel gilt als Pionier des Urheberrechts für Musikautoren. Er setzte sich bei der Bundesversammlung vehement für deren Urheberrechte und ihre einheitliche Regelung ein.[8] Persönlich war er in der Durchsetzung seines Autorenprivilegs vergleichbar erfolgreich wie Goethe: er starb als einer der reichsten Komponisten seiner Zeit.
Hummel war es auch, der Beethoven zu einer entsprechenden Eingabe inspirierte – sie ist ein anrührendes Dokument. Von einem nicht sonderlich geübten Schreiber aufgesetzt und mit Beethovens Unterschrift versehen (Abb. 6; im Besitz des Goethe-Museums), lässt der Komponist dort wissen, dass er die Absicht habe, „in kurzer Zeit eine Ausgabe seiner sämtlichen Werke […] zu veranstalten“ und dass „Herr Kapellmeister Hummel“ als „Repräsentant des Unterzeichneten […] den Bescheid einer hohen Bundesversammlung ehrfurchtvoll erwarten“ wird. Datiert ist das Ersuchen mit „März 1827“ – Beethoven starb am 27. März d.J.; man hat also eine seiner letzten Willensbekundungen vor Augen. Ob sie den Adressaten erreichte, ist ungewiss. Interessant kann man nebenbei finden, dass sich Beethoven hier so untertänig äußert, wie Bettina v. Arnim es Goethe in die Schuhe schob (s.o.).
Zum guten Schluss sei angemerkt, dass die Ausstellung die feine kleine Beethoven-Sammlung des Goethe-Museums allererst wieder zu Tage fördert; sie wird manchen überraschen. Das kommt davon, dass der größte Teil der Sammlungsschätze des Museums weggeschlossen bewahrt werden.[9] Es ist doch sehr zu wünschen, dass der im Modell längst vorliegende Archivanbau am Museum endlich in Angriff genommen wird.
Text und Fotos: Prof. Dr. Gisela Miller-Kipp