Nüchternheit, Militarismus und Eugenik: Nicht erst seit Zach Snyders 300 bildet die Polis Sparta einen zentralen Referenzpunkt in der westlichen Antikenrezeption. Was sich im Deutschen heute vor allem in zwei beliebten Redewendungen artikuliert, fußt auf einem "Mythos Sparta", der weit hinter das 19. Jahrhundert zurückreicht. Schon zur Zeit des Bestehens des antiken Stadtstaates übte Sparta auf die Zeitgenossen eine Faszination aus, die wahlweise Begeisterung oder Abscheu evozierte. Doch welche realen Begebenheiten verbergen sich hinter dem Mythos? Darüber haben wir mit der Historikerin Dr. Denise Reitzenstein gesprochen.
"Sparta war schon in der Antike legendär"
L.I.S.A.: Frau Dr. Reitzenstein, im Deutschen greifen wir im täglichen Sprachgebrauch auf zahlreiche Redewendungen und Sprichwörter zurück, die einen geschichtlichen Ursprung haben und auf historische Ereignisse oder Eigenheiten anspielen, so auch bei den Redewendungen “lakonisch” und “spartanisch”. Anders als es auf den ersten Blick scheint, verweisen beide Begriffe auf denselben Ursprung: die Spartaner der griechischen Antike. Wie kommt das?
Dr. Reitzenstein: Zunächst kann man die Begriffe „lakonisch“ und „spartanisch“ als antike Ortsbezeichnungen verstehen. Spartanisch leitet sich vom Zentrum der antiken Polis Sparta ab. Lakonien ist eine Gegend, über die Sparta in einer Zeit die Vorherrschaft gewann, aus der uns zeitgenössische schriftliche Quellen fehlen, ähnlich wie dies auch bei Athen mit der ihr zugehörigen Landschaft Attika der Fall ist. Dass wir erst ab dem 5. Jh. v. Chr. zunehmend literarische Quellen greifen können, hilft oft nicht, diese Vorgänge nachvollziehen zu können, da zeitgenössische Ansprüche in die Vergangenheit projiziert werden.
Ortsbezeichnung setzt auch eine Gemeinschaft voraus, die Räume als etwas Zusammengehöriges oder Getrenntes betrachtet. Sparta bestand ab einem nicht näher zu bestimmenden Zeitpunkt aus zwei Landschaften, Lakonien und Messenien im Süden der Peloponnes. Letztere machte sich im Laufe des 4. Jh.s v. Chr. als eigenständige politische Einheit unabhängig. Spätestens seit diesem Zeitpunkt dürfte sich das Interesse der Messenier verstärkt haben, sich als politisches Gebilde mit einer eigenen Identität und Geschichte zu begreifen. Der Gedanke, schon in der Vergangenheit eine starke messenische Opposition gegen Sparta besessen zu haben, bestimmt nun das messenische Selbstverständnis. Messenisch verhält sich zu spartanisch also nicht in derselben Weise wie lakonisch, weil Lakonien nach über das 4. Jh. v. Chr. hinaus weiterhin zu Sparta gehörte. Vor dieser Zeit aber war auch Messenien spartanisch, also Teil des Selbstverständnisses von Sparta.
Bis Sparta im 5. Jh. v. Chr. mit Athen in einen Konflikt um die Vorherrschaft in Griechenland geriet, galt Sparta als führende Macht im griechischen Mutterland. Warum das so war und wie die Spartaner ihre Macht behaupteten, war vielen Zeitgenossen ein Rätsel. Im Konflikt mit Athen und anderen Griechen sorgte Sparta sicherlich selbst für ein besonders abschreckendes Image als Militärmacht – was aber nicht der tatsächlichen Lebenswelt entsprochen haben muss. Selbst als Sparta im 4. Jh. v. Chr. zunehmend an Macht und Einfluss verlor, gab es Bewunderer wie auch Gegner Spartas, die in ihren tradierten Schriften bestimmte Spartabilder unterstützten. So war Sparta schon in der Antike legendär.