Bibliotheken und Archive sind gegenüber politischen und gesellschaftlichen Veränderungen relativ unempfindlich. Oft überdauern sie sogar große historische Zäsuren, saugen Wandlungen nach und nach in ihre Bestände auf und steuern insgesamt eher in ruhigeren Gewässern. Entsprechend fallen historische Darstellungen von solchen Wissensspeichern in der Regel als Institutionengeschichten aus. Anders das aktuelle Buch der Historikerin Dr. Helke Rausch von der Universität Freiburg. Sie bettet die Geschichte der Deutschen Bibliothek in Frankfurt am Main, die erst kurz nach dem Zweiten Weltkrieg gegründet wurde, dezidiert in die politische Zeitgeschichte ein. Die Geschichte der Deutschen Bibliothek wird so zum "Spiegelsaal" der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland in der Zeit des Kalten Krieges. Wir haben Dr. Rausch unsere Fragen gestellt.
"Es besteht ein konzeptionelles Fremdeln der Zeitgeschichte mit der Bibliothek als Untersuchungsgegenstand"
L.I.S.A.: Frau Dr. Rausch, Sie haben zuletzt eine neue Monographie publiziert, die das deutsche Bibliothekswesen zum Thema hat, genauer: die Deutsche Bibliothek in Frankfurt am Main, die sehr bald nach dem Zweiten Weltkrieg gegründet wurde. Bevor wir zu einigen Schwerpunkten kommen – was hat Sie zu dieser Arbeit geführt? Welche Beobachtungen und Überlegungen gingen der Studie voraus?
Dr. Rausch: Der Deutschen Bibliothek bin ich auf Umwegen begegnet. Ich hörte davon, dass die Deutsche Nationalbibliothek Frankfurt/Leipzig ein großes Forschungsprojekt zur Geschichte des Frankfurter Hauses zwischen 1945 und 1990 angehen will. Das hat mich auch deshalb gereizt, weil mir gar nicht gleich einleuchtete, warum und wie Zeithistoriker eigentlich Bibliotheken ins Forschungsvisier nehmen können. Seit ich den Zuschlag für mein eingereichtes Forschungspapier erhielt, musste ich darauf Antworten finden. Zweifellos sind Historikern Bibliotheken als intellektuelle Ressourcen vertraut. Zum Forschungsgegenstand hingegen erklären sie solche Institutionen selten. Man überlässt sie meist der Buch- und Bibliothekswissenschaft, die einen ganz anderen Zugang hat. Eine selbstreflexive Wissenschaftsgeschichte, die im großen Stil Bibliotheken seziert, gibt es nicht.
Dieses konzeptionelle Fremdeln der Zeitgeschichte mit der Bibliothek als Untersuchungsgegenstand versuche ich produktiv zu nutzen. Dazu beobachte ich die Bibliothek als voraussetzungsreichen Akteur in ihrer Zeit, mit heterogenem Innenleben und spannungsreichen Beziehungen vor allem zu ihrer politischen Umgebung in den westlichen Besatzungszonen und der frühen und reifenden Bundesrepublik – kulturpolitische Fressfeinde wie z.B. konkurrierende Häuser eingeschlossen. So lässt sich aus den Zeitläuften der Bibliothek Honig saugen für die Zeitgeschichte, treten Andockstellen im Mikrokosmos Bibliothek an ein breiteres Epochenpanorama zutage. Das erscheint mir auch im Nachgang als eine ganz gute Prophylaxe gegen das (in manchen Forschungszugriffen auf Bibliotheken übliche) Versacken im Detail. Und es schützt gegen eine Art unfreiwillige Institutionenhagiographie: Natürlich nötigt ein Forschungsauftrag ein Stück weit dazu, eine Institution signifikant oder gar relevant zu finden. Man kann sich diesem Erkenntnisdruck aber zeithistorisch stellen, wenn man nach Empirien fahndet, die diese Beweislast eben nicht tragen, kann die Handlungsgrenzen des Hauses abschreiten. Auch das versuche ich in diesem Buch.