Die Dynastie der Almohaden herrschte im 12. Jahrhundert über den heutigen Maghreb und weite Teile der Iberischen Halbinsel, damals als al-Andalus bekannt. An ihrem Hof lebte und wirkte einer der bedeutendsten Gelehrten seiner Zeit – der Philosoph, Jurist und Arzt Averroes. Letzteres, seine Stellung als Hofarzt der Almohaden, steht im Mittelpunkt der Forschungen von Dr. Raphaela Veit und Dr. Carsten Schliwski. Sie untersuchen Averroes' Verständnis von Medizin vor den politisch-religiösen Gegebenheiten am Hof der Almohaden. Wir haben ihnen dazu unsere Fragen gestellt.
"Averroes als Hofarzt der Almohaden und Autor medizinischer Abhandlungen fand bisher kaum Beachtung"
L.I.S.A.: Frau Dr. Veit, Herr Dr. Schliwski, Sie forschen im Rahmen eines von der DFG geförderten Projektes über den islamischen Gelehrten Averroes (Ibn Rushd) als Arzt. Gemeinhin gilt Averroes, der 1126, vor fast 900 Jahren, in Córdoba in Andalusien geboren wurde und 1198 in Marrakesh verstarb, als Philosoph, der oft in einem Atemzug mit Avicenna (Ibn Sina), einem weiteren islamischen Arztphilosophen, genannt wird. Woher rührt Ihr Interesse an Averroes allgemein und als Arzt im Besonderen?
Dr. Veit / Dr. Schliwski: Wir bewegen uns beide seit unserer Promotion im Themenbereich des mittelalterlichen Wissens- und Kulturtransfers zwischen der islamisch geprägten Welt und christlichen sowie jüdischen Gelehrten- und Universitätskontexten in Europa. Hier bietet sich eine Beschäftigung mit Averroes an, dessen philosophisches und medizinisches Werk auch in lateinischen und hebräischen Übersetzungen gelesen und rezipiert wurde. Hat das umfangreiche philosophische Œuvre des Averroes in den letzten Jahren und Jahrzehnten große Aufmerksamkeit und intensive Forschungsaktivitäten erfahren, so fand Averroes als Hofarzt der Almohaden und Autor medizinischer Abhandlungen kaum irgendwo Beachtung. Das Thomas-Institut war und ist wissenschaftliche Heimstatt zahlreicher Forscher, die zu philosophischen und allgemein wissenschaftshistorischen Themen arbeiten und publizieren, zuletzt verstärkt mit einem Schwerpunkt auf mittelalterlichen arabischen und hebräischen Themen, nachdem schon seit den 1970er Jahren über das Averroes Latinus Projekt die lateinische Rezeption dieses Autors einen Schwerpunkt der Forschungen am Institut bildete. Seit 2010 wird kontinuierlich die Forschungsplattfom Digital Averroes Rearch Environment (DARE) auf- und ausgebaut, seit 2016 läuft außerdem ein auf insgesamt 25 Jahre angelegtes Projekt zur arabischen Naturphilosophie mit einem Schwerpunkt auf dem Werk des Averroes. Dies bietet für uns den idealen Rahmen zur Durchführung unseres Projektes.