In der Studienausgabe der Geschichtlichen Grundbegriffe von 2004 umfasst der Eintrag Werner Conzes zum Lemma Freiheit fast 120 engbedruckte Seiten. Er reicht von den Grundlagen in der Antike bis zur Spannung zwischen Freiheit auf der einen und Gleichheit auf der anderen Seite. Kurzum: ein historischer Großbegriff, der die Menschheit immer schon beschäftigt hat und weiter beschäftigen wird. In den vergangenen Jahren kam den gesellschaftlichen Debatten über Freiheit eine besondere Intensität zu, die in den Fragen kulminierte: Wie viel Freiheit kostet Sicherheit? Aber auch: Wie viel Freiheit bietet Sicherheit? Die Bedingungen von Freiheit standen wieder einmal auf dem Prüfstand – theoretisch sowie in der Praxis. Für den Philosophen Dr. Karl Hepfer von der Universität Erfurt Anlass, in seinem neuen Buch eine Art Inventur der Freiheit vorzunehmen. Wir haben ihm dazu unsere Fragen gestellt.
"Wir haben es mit einem Begriff von hoher Beliebigkeit zu tun"
L.I.S.A.: Herr Dr. Hepfer, Sie haben als Philosoph jüngst ein Buch zum Thema Freiheit veröffentlicht. Der Untertitel deutet eine Kritik an: "Zwischen Betreuungspolitik und digitaler Selbstentmündigung". Bevor wir auf einige Einzelheiten näher eingehen - was hat Sie bewogen, dieses Buch zu schreiben? Welche Beobachtungen und Überlegungen gingen dem voraus? Und: Was ist in diesem Zusammenhang Ihre philosophische Ausgangsfrage?
Dr. Hepfer: Am Anfang des Nachdenkens über die Freiheit standen zwei Beobachtungen, nämlich einerseits die Feststellung, dass sehr unterschiedliche Gruppen sich auf die Freiheit berufen, um ihrem Anliegen moralischen Nachdruck zu verleihen. Die Tatsache, dass es sich dabei nicht selten um Parteien handelt, die sich ansonsten unversöhnlich gegenüberstehen, legte die Vermutung nahe, dass wir es mit einem Begriff von hoher Beliebigkeit zu tun haben. Die zweite Beobachtung betrifft die Sorglosigkeit, mit der viele der aktuellen digitalen Transformation zu begegnen scheinen und sich zu Komplizen der Übernahme des gesellschaftlichen Lebens durch eine profitorientierte Datenindustrie machen, sowie ihre Bereitschaft, Freiheiten einzutauschen gegen ein vages Versprechen von Sicherheit oder auch nur einem Mehr an Bequemlichkeit.
Diese beiden Beobachtungen motivieren die Ausgangsfrage: Wie steht es aktuell um die Freiheit? Dabei ergaben sich für die Untersuchung naheliegender Weise zwei große Themen. Einerseits galt es, den Begriff zu präzisieren und ihm Substanz zu geben, so dass eine gehaltvolle Diskussion möglich wird. Im Anschluss daran war, anderseits, zu ermitteln, an welchen Stellen wir besonders aufmerksam sein müssen, wenn wir unsere Freiheit nicht dauerhaft verlieren wollen und auch, an welchen Stellen wir unbedingt aktiv werden müssen, um sie zu stärken. Denn schließlich handelt es sich bei der Freiheit um eine zentrale Voraussetzung unseres Zusammenlebens.