Mit dem Beitritt der Deutschen Demokratischen Republik zur Bundesrepublik Deutschland im Oktober 1990 vereinigten sich nicht nur Politik, Wirtschaft und Wissenschaft, sondern auch der Kunst- und Kulturbetrieb. Prof. Dr. Eva-Maria Siegel hat sich mit der Vereinigung einer bestimmten Branche – und zwar dem Kabarett – beschäftigt. In ihrer aktuellen Publikation blickt sie auf die Unterschiede und Gemeinsamkeiten, die die Kleinkunst um 1990 bestimmten. Außerdem wollten wir im Interview wissen, wie die Literaturwissenschaftlerin die aktuelle Entwicklung – die Hinwendung zu Unterhaltungs- und Comedyprogrammen und Abkehr von Kabarettprogrammen – bewertet: Braucht die heutige Zeit mehr Kabarett?
"Tieferliegende historische Problemlagen"
L.I.S.A.: Frau Eva-Maria Siegel, Sie sind Professorin am Institut für deutsche Sprache und Literatur der Universität zu Köln und haben kürzlich eine neue Publikation veröffentlicht, die den Titel „Vereinigtes Gelächter?“ trägt. Sie beschäftigen sich darin mit der Kleinkunst und dem Kabarett um 1990 – dem Jahr der deutschen Wiedervereinigung. Woher rührt Ihr Forschungsinteresse an der Thematik?
Prof. Siegel: Nun, der wissenschaftliche Anstoß kam aus einer Beschäftigung mit dem Thema Bertolt Brecht und dem Kabarett der frühen Zwanzigerjahre in einem Beitrag für eine Tagung in Südafrika, der Zeit der Weimarer Republik also, auch eine Umbruchszeit. Das war ungefähr zwei Jahre vorher und das Thema ließ mich nicht so ganz wieder los. Den persönlichen Anstoß gaben die politischen Verlautbarungen zum 30. Jahrestag der Wiedervereinigung, die mir von einer gewissen Verlegenheit im Rückblick gekennzeichnet schienen und meines Erachtens auch von abstrakter Oberflächlichkeit in der Gesamtbetrachtung zeugten. So etwas verweist ja immer auf tieferliegende historische Problemlagen. Ich wollte diesem Eindruck an einem Beispiel aus dem Kunst- und Literaturbetrieb nachgehen, weil das meine wissenschaftliche Expertise ist. Da ich 1989 im Prenzlauer Berg in Ost-Berlin lebte und dieser inzwischen ebenso vergangene wie seinerzeit verwunschene Ort für mich die Quelle vielfältiger kultureller Begegnungen wer, entschied ich mich, räumlich und zeitlich zunächst dahin zurückzugehen. Das hat sich dann erweitert auf exemplarische Analysen der Entwicklungen von Kabaretts in Berlin, Dresden und Leipzig sowie deren Privatisierungen.