Die Gerda Henkel Stiftung hat in den Jahren von 2008 bis 2014 archäologisch-historische Feldforschungen in der südwestlichen Türkei gefördert, die von Thomas Corsten (Institut für Alte Geschichte und Altertumskunde, Papyrologie und Epigraphik, Universität Wien) und Oliver Hülden (ÖAI/ÖAW) geleitet wurden. Diese Forschungen betrafen den gesamten westlichen Teil der türkischen Provinz Burdur, in dem die in hellenistischer Zeit gegründete Stadt Kibyra mitsamt ihrem Territorium lag. Bevor es wie das übrige Kleinasien dem Römischen Reich einverleibt wurde, stand Kibyra einer Tetrapolis (Vierstädtebund) vor, dem neben ihm die Städte Balbura, Bubon und Oinoanda angehörten. Zum Gebiet, das im Rahmen der Feldforschungen untersucht wurde und einfachheitshalber als Kibyratis bezeichnet wird, gehörten neben Kibyra auch Bubon und sein Umland.
Nachhaltige archäologische Forschung im Zeitalter des Digitalen
Daten generieren, auswerten, zugänglich machen und archivieren
2016 wurden die Forschungen in der Kibyratis als Pilot für ein operatives Projekt der Gerda Henkel Stiftung zum digitalen Publizieren (EDIT. Digitale Publikation Gerda Henkel Stiftung) ausgewählt. Die Idee dahinter ist, die Ergebnisse und die Datengrundlagen des Kibyratis-Projekts in vollem Umfang zu veröffentlichen und dabei die Möglichkeiten einer Online-Publikation auszuschöpfen. Zu diesem Zweck wurde gemeinsam mit der Firma PLEX GmbH die Architektur einer Online-Plattform entworfen. Sie vermag es, die klassische Gliederung materialbasierter archäologischer Publikationen in einen Text-, Katalog- und Abbildungsteil beizubehalten, aber durch die digitalen Möglichkeiten der Einbindung von Datenbankbeständen, der erweiterten Bebilderung und Verlinkung in erheblichem Maße zu erweitern.
Verfasst werden können die bebilderten und mit Anmerkungen versehenen Texte und Katalogeinträge auf der Plattform selbst, und dort lässt sich gleichzeitig das Layout festlegen. Darüber hinaus lassen sich Basisdaten wie etwa Skizzen, Pläne, Fotos, Literaturlisten oder Audiodateien einbinden und archivieren, auf die während des Verfassens der auswertenden Texte jederzeit leicht zurückgegriffen werden kann. Dasselbe gilt für fremdsprachliche Texte mit Sonderzeichen, in unserem Fall griechische Inschriften, für die wie alle anderen Teile der Plattform auch eine Suchfunktion zur Verfügung steht.
Grundsätzlich ist die Plattform geeignet, schon von Beginn eines Projekts an mit Daten und Texten gespeist zu werden. Es müssen also keine separaten Datenbanken oder Textdokumente mehr angelegt werden. Damit steht ein Instrument zur Verfügung, dass nicht nur die Darstellungsmöglichkeiten der Ergebnisse aus Forschungsprojekten deutlich erweitert, sondern auch das zügigeres Publizieren erlaubt. Da die Plattform selbst als Speicher dient, ist schließlich auch für einen nachhaltigen Umgang mit den Forschungsdaten gesorgt (diese sollten allerdings parallel dazu einer Langzeitarchivierung zugeführt werden, was in unserem Fall durch ein entsprechendes Archiv der Österreichischen Akademie der Wissenschaften [ARCHE] gewährleistet ist).
Aufgrund der thematischen Vielfalt und der damit verbundenen Fülle an Daten und Ergebnissen des Kibyratis-Projekts wurde von der ursprünglichen Idee einer Zusammenführung in einer einzigen Publikation abgerückt. Stattdessen erfolgte eine Aufteilung in thematische, sukzessive zu publizierende Einzelstudien. Als erster Band dieser »Einzelstudien des Kibyratis-Projekts« liegen jetzt die Ergebnisse zu Bubon und seinem Umland vor (DOI: 10.23778/GHS.EDIT.2021.1).
Der Band zeichnet die Siedlungsgeschichte und -entwicklung von Bubon nach, das wie Kibyra in hellenistischer Zeit von eingewanderten Pisidern gegründet wurde. Erstmalig systematisch untersucht wurde der Ort zwischen 2004 und 2006 unter der Leitung von Christina Kokkinia (Institute of Historical Research/National Hellenic Research Foundation, Athen). Aus diesen Forschungen ging ein Corpus der Inschriften hervor, das durch eine erste zusammenfassende archäologische Studie begleitet wurde (C. Kokkinia [Hrsg.], Boubon. The Inscriptions and Archaeological Remains. A Survey 2004–2006, ΜΕΛΕΤΗΜΑΤΑ 60 [Athen 2008]; s. auch die Online-Zusammenfassung). Der damalige Forschungsstand kann jetzt durch jüngere Untersuchungen im Rahmen des Kibyratis-Projekts beträchtlich erweitert und aktualisiert werden.
Zum ersten Mal liegt jetzt ein Keramikspektrum für Bubon vor, das von der archaischen Zeit bis in die Spätantike reicht, wobei insbesondere den archaischen und klassischen Scherben eine große Bedeutung zukommt. Sie bezeugen nämlich, dass die hellenistische Städtegründung Bubon am selben Ort eine archaisch-klassische Vorgängersiedlung besaß. Für das Umland ergeben sich ebenfalls neue Einblicke, die hingegen vornehmlich die Kaiserzeit und Spätantike betreffen und sich wohl mit der besonders im 2. und 3. Jh. n. Chr. virulenten, auch inschriftlich belegten Gefahr durch Räuber und Briganten in der Region in einen Zusammenhang bringen lassen.
Nach der Publikation der Ergebnisse zu Bubon und seinem Umland sollen ab jetzt weiterer Online-Bände der »Einzelstudien des Kibyratis-Projekts« in regelmäßigen, zeitlich nicht allzu großen Abständen veröffentlicht werden.
Link zur EDIT-Publikation »Bubon und sein Umland. Eine Nachlese« von Oliver Hülden mit Beiträgen von Jörg Gebauer und Kathrin Kugler
Zitation des Bandes:
O. Hülden, Bubon und sein Umland. Eine Nachlese mit Beiträgen von Jörg Gebauer und Kathrin Kugler, Einzelstudien des Kibyratis-Projekts 1, Gerda Henkel Stiftung Edition 5. DOI: 10.23778/GHS.EDIT.2021.1.