Der US-amerikanische Großinvestor Warren Buffet hat 2006 in einem Interview mit der New York Times folgenden Satz gesagt: "There’s class warfare, all right, but it’s my class, the rich class, that’s making war, and we’re winning." Diesen Satz hat der superreiche Unternehmer immer wieder ausgesprochen und modifiziert - 2003 noch stolz mit breiter Brust in einem Brief an Investoren, 2011 aber schon mit Zweifeln und Distanz zu seiner eigenen Klasse der Superreichen. Und dies entsprach dem damaligen Zeitgeist, denn im Zuge des Crashes an den Finanzmärkten seit 2008 wurden nicht zuletzt die Superreichen für die ökonomischen und sozialen Verheerungen mitverantwortlich gemacht. Sie seien von der gesellschaftlichen Realität abgekoppelt und scherten sich nur noch um ihren eigenen Luxus, auch wenn er zulasten aller anderen gehe. Reichen-Bashing war en vogue - die 1% standen unter anderem im Zusammenhang mit der Occupy-Bewegung den 99% feindselig gegenüber. Was ist dran an dieser pauschalen Kritik an den Superreichen, die der Kulturphilosoph Dr. Björn Vedder als "reichen Pöbel" bezeichnet? Wer spricht diese Kritik aus und was sagt diese wiederum über die Kritiker selbst aus? Wir haben Björn Vedder, der darüber ein neues Buch publiziert hat, diese und andere Fragen gestellt.
"Es gibt offenbar einen Verfall der Sitten, der an Reichtum geknüpft ist"
L.I.S.A.: Herr Dr. Vedder, Sie haben nach Ihrem Buch über Freundschaft im Zeiten von Facebook nun ein neues Buch geschrieben, das den Titel „Reicher Pöbel“ trägt. Wie kamen Sie von der kulturphilosophischen Auseinandersetzung mit Freundschaft nun zu der mit Reichtum und Pöbelhaftigkeit? Welche Überlegungen gingen Ihrem neuen Buch voraus?
Dr. Vedder: Zwei Beobachtungen waren für mich wichtig. Mir ist in den letzten Jahren erstens aufgefallen, dass sich Menschen, die über einen gewissen Wohlstand verfügen, zunehmend daneben benehmen und in ihrem Verhalten eine verstärkte Rücksichtslosigkeit und besondere Ichbezogenheit zeigen, die mir vorher fremd war, zumindest in diesem Maße. Ich wollte gerne wissen, warum das so ist. Bei meinen Recherchen bin ich dann auf eine Reihe von sozialpsychologischen Untersuchungen gestoßen, die diesen Eindruck bestätigen und zeigen, dass es eine Korrelation zwischen dem eigenen Einkommen und der Auffassung gibt, nicht nur besser zu sein als andere, sondern auch größere Rechte auf Glück, Erfolg und alles Gute zu haben, kurz: ein Lebensvorrecht gegenüber den anderen zu besitzen. Gleichzeitig schwinden mit dem Wohlstand jedoch die psychologischen Muskeln, sich sozial zu verhalten und z.B. die eigenen Bedürfnisse zugunsten anderer zurückzustellen. Dieses Phänomen eines pathologisch werdenden Narzissmus hat mich schon in meinem Buch über Freundschaft interessiert. Während ich dort jedoch eher die Perspektive einer Philosophie des guten Lebens eingenommen und überlegt habe, wie Freundschaften den Narzissmus mäßigen und so wenden können, dass die Beziehungen nicht pathologisch werden, sondern die Freunde in ihnen das Glück finden, das sie in ihnen suchen, habe ich in meinem neuen Buch eine mehr sozialphilosophische Perspektive eingenommen, vor allem im Hinblick auf das Verhältnis von Ökonomie und Moral oder Sittlichkeit. Es gibt in unserer Gesellschaft offenbar einen Verfall der Sitten, der an Reichtum geknüpft ist, eine Art Asozialität der Vermögenden, und ich habe mich gefragt, wie diese Wohlstandsverwahrlosung mit den ökonomischen Strukturen unserer Gesellschaft und der Art von Sittlichkeit, die sie hervorbringen, zusammenhängt. Es ging mir also um die zivilisierende oder kulturprägende Kraft des Kapitalismus.
Zweitens habe ich bemerkt, dass ich mit meiner kritischen Einschätzung der Reichen nicht alleine bin, sondern es eine sehr breite und zunehmend scharfe Kritik an den Reichen und Superreichen – dem berühmten 1 % – gibt, die sich z.B. im letzten Bundeswahlkampf geäußert hat, in dem der reiche Spekulant das einzige Feindbild war, das alle Parteien gemeinsam hatten, oder auch in einer ganzen Flut von neueren Filmen, Romanen und TV-Serien, die Reiche als Monster zeigen und sie – wie ein großer Teil der politischen Kritik auch – zu Sündenböcken machen und so tun, als wäre alles in bester Ordnung, wenn sich die paar Superreichen an der Spitze nur nicht falsch verhielten. Das hat mich skeptisch gemacht. Ist die sogenannte „F*ck-you-Politik der Oberschicht" (Michael Naumann) tatsächlich nur das Resultat individuellen Fehlverhaltens oder gibt es nicht auch systematische Gründe dafür? Wie verhält sich das Bild, das wir uns heute von den Reichen machen, zu früheren Bildern von ihnen? Welche Faktoren bestimmen die kulturelle Imagination der Reichen?