Noch immer zählen die Vereinigten Staaten von Amerika zu den von der Covid-19-Pandemie am meisten betroffenen Ländern: Die USA verzeichnen nicht nur die meisten Infektionen mit dem Covid-19-Virus, sondern auch die meisten Todesfälle – und nach wie vor wird der Alltag von Restriktionen beeinflusst. Doch wie nehmen Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen die Einschränkungen wahr? Wie wird die Geisteswissenschaft im Speziellen von der Pandemie beeinflusst? Nachdem wir zu Beginn der Pandemie bereits die Historikerinnen Prof. Dr. Astrid M. Eckert und Prof. Dr. Simone Lässig zu dieser Thematik befragt haben, gibt ein Interview mit Dr. Julius Wilm, Dr. Levke Harders und Dr. Amir Theilhaber weitere Einblicke. Wir wollten unter anderem wissen, wie sie die Situation wahrgenommen haben und inwiefern die Forschungen am Deutschen Historischen Institut in Washington, an dem die Historiker und die Historikerin zu Gast waren, beeinflusst wurden.
L.I.S.A.: Das Jahr 2020 wird bislang vor allem von der andauernden Covid-19-Pandemie bestimmt, die – nachdem das neuartige Coronavirus Ende des letzten Jahres erstmals in der Volksrepublik China auftrat – das Leben weltweit beeinflusst. Wie nehmen Sie die Situation wahr und wann sahen Sie sich erstmals mit dem Virus konfrontiert?
Dr. Wilm: Als die US-Regierung am 11. März 2020 plötzlich verkündete, dass die Grenzen für Einreisende aus dem Schengen-Raum geschlossen werden, befand ich mich in Deutschland, um die Digital-History-2020-Konferenz in Göttingen zu besuchen. Geplant hatte ich nur einen kurzen Abstecher in die Heimat; nach der Verkündung der Einreisesperre war ich dann auf einmal in Europa gestrandet – mit leichtem Gepäck. Fast alle persönlichen Dinge, ebenso Bücher und einen Arbeits-Laptop, hatte ich in Arlington gelassen.
Dr. Harders: Mir wurde Ende Februar bewusst, dass die Auswirkungen der Pandemie auch meine persönliche Situation betreffen würden. Trotzdem habe ich erst zwei Tage vor dem von Julius Wilm erwähnten Travel Ban angefangen, das globale Ausmaß zu realisieren und die gesundheitlichen, sozialen, ökonomischem, politischen Konsequenzen, die das Virus haben würde, langsam zu begreifen. Ich selbst habe dann sehr kurzfristig die USA verlassen – innerhalb von 24 Stunden einen Forschungsaufenthalt vorzeitig abzubrechen, in der unübersichtlichen Situation überhaupt einen Flug zu bekommen und eine Reise anzutreten, war sehr anstrengend und beängstigend, zumal zu dem Zeitpunkt unklar war, welche Auswirkungen diese Entscheidung auf das Stipendium haben würde. Außerdem musste ich Sachen packen, die Wohnung auflösen, die letzten Scans in der Bibliothek machen usw. usf., wobei wir Gastwissenschaftler*innen und Praktikantinnen uns gegenseitig und einige Kolleg*innen am DHI uns zum Glück unterstützt haben.
Dr. Theilhaber: Auch für mich war die Entscheidung der US-Regierung die Grenzen für Schengen-Europäer zu schließen ein einschneidender Moment. Ich war mit meiner Frau und unserem 2-jährigen Sohn in Washington und wir hatten an der Grenze zu Maryland in Takoma ein Haus mit Garten gemietet. Es war sehr schnell klar, dass die Kita unseres Sohns geschlossen wird und dass wohl nur noch sehr wenig von dem geschehen würde, weswegen wir in die USA gekommen waren. Die mangelhafte Abdeckung des Gesundheitssystems, die Unverantwortlichkeit der amerikanischen Bundesregierung und die erwartbaren politischen und gesellschaftlichen Verwerfungen hatten uns in Erwägung ziehen lassen, abzureisen. Da wir uns aber in unserer Nachbarschaft, wo wir sofort Anschluss gefunden hatten, sehr wohl fühlten, und die Aussicht auf unbegrenzte Zeit mit einem kleinen Kind in unserer Berliner Stadtwohnung zu stecken nicht erquicklich war, sind wir dann in Takoma geblieben. Zum Arbeiten sind wir dann mit Kind zu Hause nur noch sehr wenig gekommen, was aber in Deutschland nicht anders gewesen wäre. Wir sind sehr froh, dass wir entschieden haben zu bleiben. Der Zusammenhalt mit unseren Nachbarn und die Selbstlosigkeit vieler Menschen, die wir in Washington und Umgebung während der Pandemie erfahren haben, hat uns den Abschied Ende Juni sehr schwer gemacht.