Bereits in einer seiner ersten Publikationen Nach Norden widmete sich Julius Meier-Graefe aus literarischer Sicht den skandinavischen Ländern. Sein Interesse für das sogenannte "Nordland" äußerte sich jedoch auch auf der Ebene der Kunst – insbesondere in seiner Beschäftigung mit dem norwegischen Maler Edvard Munch. Während Munchs Werke im Berlin der frühen 1890er Jahre für Skandale sorgten und auf breite Ablehnung trafen, vertrat Meier-Graefe einen anderen Standpunkt. Dr. Ingeborg Becker, ehemalige Direktorin des Bröhan-Museums in Berlin, widmet sich in ihrem Vortrag Meier-Graefes Auseinandersetzung mit dieser neuen Kunst aus dem Norden und ihrer Bedeutung für Meier-Graefes Werdegang.
Zur Tagung
Der Kunstkritiker, Kunstvermittler und Kunsthändler Julius Meier-Graefe (1867-1935) wurde durch seine außerordentliche Aktivität auf vielen Gebieten der Kunst zu einer zentralen Gestalt des kulturellen Geschehens von der Jahrhundertwende bis zu Beginn der 1920er Jahre. Wie kein anderer etablierte er durch seine Schriften eine „neue Schule des Sehens“, die die moderne, zeitgenössische Kunst in den Vordergrund stellte, aber auch zu einer Neubewertung von Künstlern der Vergangenheit führte. Der heutige Kanon der Kunstgeschichte geht wesentlich auf seine Neuperspektivierung der Kunstgeschichte zurück.
Durch seine persönliche Verbundenheit mit Künstlern wie Edvard Munch, Henry van de Velde und Henri de Toulouse-Lautrec, als Mitbegründer der bibliophilen Zeitschrift PAN sowie durch seine aktive Förderung der neuen dekorativen Bewegung, des Jugendstils und des französischen Impressionismus, wurde Meier-Graefe zu einem einzigartigen Mentor und Anreger, zu einer kulturellen Instanz. Meier-Graefe verkörperte exemplarisch die „Generalisten“-Generation um 1900, die im Sinne eines europäischen Kulturtransfers keine nationalen Grenzen kannte. Seine lebenslange Verbundenheit mit der Kunst und Kultur Frankreichs machte ihn zu einem bedeutenden Vermittler der Moderne.
2015 jährt sich das 80. Todesjahr Meier-Graefes – Anlass, diese Grenzgängerfigur in seiner deutschen Hauptwirkungsstätte, Berlin, zu würdigen und erstmals den aktuellen Forschungsstand zu seinem umfangreichen Werk und der modernen Kunstkritik um 1900 auf einer internationalen Tagung zur Diskussion zu stellen.