Dass die Zeit alle Wunden heile, setzt eine lineare Zeitvorstellung voraus. Die Idee wäre die des geradlinigen Verlaufs und des Vergehens, der Abschattung in der Vergangenheit und der Distanzierung. In komplexen Systemen – etwa: Gesellschaften – heilt die Zeit keine Wunden, sondern macht besonders auf sie aufmerksam, salzt sie geradezu, hindert sie an der Heilung. Das gilt besonders für Zeitformen, die nicht einfach seriell in einem Nacheinander, sondern parallel in einem Nebeneinander geschaltet sind, die auch noch unterschiedlich schnell und mit unterschiedlichen Rhythmen verlaufen. Armin Nassehi zeigt in seinem Vortrag, dass es insbesondere die Zeitdimension ist, die Entscheidungsprozesse dann herausfordernder macht, wenn sich nicht alles einlinig in ein übersichtliches Nacheinander fügt. Wenigstens der Vortrag wird linear sein: Er hat einen Anfang, ein Ende und dazwischen vergeht nur eine Zeitform. Ob das dann tröstlich ist, wird sich erweisen.
Armin Nassehi ist Inhaber des Lehrstuhls für Allgemeine Soziologie und Gesellschaftstheorie an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Zu seinen wichtigsten Publikationen zählen »Muster«, »Unbehagen. Theorie der überforderten Gesellschaft« und »Gesellschaftliche Grundbegriffe. Ein Glossar der öffentlichen Rede« (jeweils im Verlag C.H. Beck erschienen). Seit 2017 ist Armin Nassehi Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat der Fritz Thyssen Stiftung.