Autor: Dr. Meike Hoffmann, wissenschaftliche Mitarbeiterin und Projektkoordinatorin der Forschungsstelle „Entartete Kunst“ / Freie Universität Berlin
Seit dem 21. April steht die Datenbank „Entartete Kunst“ jedem Anwender gebührenfrei im Internet zur Verfügung. Sie ist das Ergebnis einer jahrelangen Recherchetätigkeit der am Kunsthistorischen Institut der Freien Universität Berlin angesiedelten Forschungsstelle „Entartete Kunst“. Unter der Leitung von Prof. Dr. Klaus Krüger rekonstruiert ein Team von Wissenschaftlern um den Kunsthistoriker Andreas Hüneke in minutiöser Detailarbeit die Beschlagnahmeaktion. Seit fast 40 Jahren beschäftigt sich Hüneke mit der nationalsozialistischen Aktion „Entartete Kunst“. Das Gesamtverzeichnis aller damals betroffenen Werke wird seit 2005 in einer multirelationalen Datenbank (MuseumPlus) geführt. Im Mittelpunkt der Dokumentation stehen dabei die Schicksalswege der beschlagnahmten Werke bis zum heutigen Standort – eine vielschichtige und im Einzelnen auch politisch brisante Suche nach der verschollenen Kunst.
Die Datenbank wird in Fachkreisen seit langem dringend erwartet. Gerade im Hinblick auf die von Kulturstaatsminister Bernd Neumann geforderte Stärkung der Provenienzforschung in Deutschland wird die Datenbank ein unerlässliches Hilfsmittel für Museumsmitarbeiter sein. Derzeit enthält das Gesamtverzeichnis 21.103 Datensätze, die mit 12.221 Bilddateien verknüpft sind. Aber noch ist nicht alles im Internet veröffentlich - die Freischaltung wird sukzessive nach einer wiederholten Überprüfung und Korrektur der einzelnen Datensätze vorgenommen. Aktuell sind ca. 2.500 Datensätzen recherchierbar. Im Abstand von drei bis vier Monaten ist mit der Publikation neuer Datensätze des gleichen Umfangs zu rechnen. Die Mitarbeiter der Forschungsstelle erhoffen sich durch die Veröffentlichung der Datenbank ebenso einen Rückfluss an Informationen aus dem Publikum zu den bis heute verschollenen Werken und unbekannt gebliebenen Künstlern.
Die Beschlagnahmeaktion „Entartete Kunst“
Joseph Goebbels, Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda sowie Präsident der von ihm gegründeten Reichskulturkammer erwirkte im Sommer 1937 einen Führererlass, mit der die erste Beschlagnahmeaktion angeordnet wurde:
„Aufgrund einer ausdrücklichen Vollmacht des Führers ermächtige ich hiermit den Präsidenten der Reichskammer der bildenden Künste, Herrn Professor Ziegler, München, die im deutschen Reichs-, Länder- und Kommunalbesitz befindlichen Werke deutscher Verfallskunst seit 1910 auf dem Gebiete der Malerei und Bildhauerei zum Zwecke einer Ausstellung auszuwählen und sicherzustellen.“
Wie aus dem Erlass hervorgeht, wurde der Maler und Münchner Akademie-Professor Adolf Ziegler, der ab Dezember 1936 Präsident der Reichskammer der bildenden Künste war, mit der ersten Beschlagnahme betraut. Mit einer fünfköpfigen Kommission suchte er 32 Sammlungen in 23 Städten auf und konfiszierte annähernd 700 Werke, die für eine große Femeschau, der heute legendären Ausstellung „Entartete Kunst“ in München, vorgesehen waren. Kurz nach Eröffnung der Ausstellung am 19. Juli 1937 in München unterschrieb Hitler den zweiten Erlass zur endgültigen „Säuberung“ der Museen von moderner Kunst. Wiederum oblag Ziegler die Durchführung. Dieses Mal reiste er mit seiner Kommission im Herbst und Winter 1937 in 74 Städte und beschlagnahmte mehr als 20.000 Kunstwerke in 101 Museen. 1400 Künstler waren von der Aktion betroffen. Danach war die avantgardistische Kunst in Deutschland dem öffentlichen Blick fast komplett entzogen.
Das NS-Inventar
Die beschlagnahmten Werke wurden in Berlin in einem Sammeldepot in der Köpenicker Straße gelagert. Im August 1937 erhielt der promovierte Kunsthistoriker Rolf Hetsch von der Reichskammer der Bildenden Künste den Auftrag zur Katalogisierung und Inventarisierung der beschlagnahmten Werke. Er legte zunächst eine Liste an und zwar in der Reihenfolge, in der die Beschlagnahme erfolgte und in der die Werke in Berlin eintrafen und vergab entsprechend die Inventarnummern – die heute so genannten EK-Nummern. Danach entstand das zentrale Verzeichnis „Beschlagnahmte Werke - nach Museen geordnet“.
Im Frühjahr 1938 wurde entschieden, die „entartete“ Kunst gegen Devisen ins Ausland zu verkaufen. Als Voraussetzung für eine legale Verwertung erließ Hitler im Mai 1938 das Gesetz zum entschädigungslosen Einzug der beschlagnahmten Werke. Fiel die Aktion „Entartete Kunst“ zunächst in den Amtsbereich der Reichskammer der bildenden Künste, war für die „Verwertung“ nun das Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda und hier die Abteilung IX – Bildende Kunst – zuständig.
Mit dem Wechsel der Zuständigkeit wechselte auch Rolf Hetsch von der Reichskammer zum Propagandaministerium in die Abteilung IX, wo er die „Verwertung“ der „Entarteten Kunst“ koordinierte. Auf Grundlage seines zentralen Verzeichnisses legte Hetsch verschiedene Listen an, die den Kriterien der Verwertung entsprachen. So gab es zum Beispiel eine Liste der „international verwertbaren Werke“, eine Liste der „unverwertbaren“ Werke, eine der privaten Leihgaben und so fort
Dieses NS-Inventar ist Ausgangspunkt von Andreas Hünekes Recherchen für das aktuelle Gesamtverzeichnis. Erhalten sind davon jedoch nur noch Fragmente: Von dem zentralen Verzeichnis fehlt der zweite Band mit den Museen von Hagen bis Zwickau und auch die einzelnen Listen sind jeweils nur in wenigen Seiten überliefert.
Erst 1997 tauchte im Vicoria & Albert Museum (London) ein Verzeichnis auf, das Andreas Hüneke als ein vollständiges Inventar von 1941/42 identifizieren konnte. Es stammt aus dem Nachlass des Kunsthändlers Harry Fischer und wird daher nach seinem Namen „Harry-Fischer-Liste“ genannt. Erst jetzt – mit dem Fund der Harry-Fischer-Liste – konnte Hüneke sicher sein, die Beschlagname von 1937 in einem neuen Gesamtverzeichnis vollständig rekonstruieren zu können.
Die Datenbank
Rolf Hetsch inventarisierte 16.558 beschlagnahmte Werke – damals eine logistische Meisterleistung. Dennoch müssen wir heute zahlreiche Irrtümer und Fehler beklagen. Zudem sind die Angaben zu den einzelnen Werken relativ spärlich gehalten. Angegeben sind nur die Nachnamen der Künstler, dann folgt die EK-Nummer in Klammern, die Titel beschreiben häufig nur vage das Motiv oder sind recht willkürlich gewählt, die Datierung fehlt, die Technik erscheint in Kürzeln und ist nur grob unterteilt, die Maße fehlen wiederum. Danach folgen in den Listen mit Angaben zur „Verwertung“ der jeweilige Händler und die Form der „Verwertung“ in Abkürzungen (K = Kommission, T = Tausch, V = Kauf oder X = Vernichtung). Trotz offensichtlich angestrebter Vollständigkeit fehlen Einträge nachweislich beschlagnahmter Werke; Graphikmappen und Werkkonvolute sind zumeist nur unter einer EK-Nummer verzeichnet, so dass nicht alle Objekte einzeln erfasst sind. In einigen Fällen sind gar nur Gewichtsangaben der beschlagnahmten Werke verzeichnet, wie z.B. für die Hanseatische Hochschule in Hamburg unter der EK-Nummer 13893: „7 Kilo Zeichnungen und Klebearbeiten“.
Für das neu zu bearbeitende Gesamtverzeichnis waren also die historischen Angaben zu korrigieren, zu präzisieren und zu ergänzen. Darüber hinaus ist jedem Werk die für eine zweifellose Identifikation notwendige Dokumentation angehängt. Dazu gehören fo-tographische Aufnahmen, Hinweise auf die Depotlagerung, auf den evtl. Einbezug in eine der Femeausstellungen ab 1933, ebenso detaillierte Hinweise auf die „Verwertung“ durch die Kunsthändler und den weiteren Verbleib. Um solch eine Datenfülle angemessen zu verarbei-ten, ist das Gesamtverzeichnis in einer multirelationalen Datenbank (MuseumPlus) angelegt. Alle Informationen können vom Nutzer unter verschiedenen Gesichtspunkten abgerufen werden. So gibt die Datenbank neben ihrer eigentlichen Bestimmung der Werkdokumentation auf anschauliche Weise auch Aufschlüsse über die Sammlungsgeschichte der Museen, über die Werkprovenienz, die Geschichte des Kunsthandels und über das Oeuvre betroffener Künstler.
Für die Zukunft ist eine Erweiterung um Angaben zu den Künstlern, den Repressalien gegen sie, zum internationalen Kunsthandel und den daran beteiligten Personen geplant, so dass die Datenbank eine umfassende und differenzierte Informationsquelle auch zu den organisatorischen und ideologischen Zusammenhängen der Aktion „Entartete Kunst“ sowie zur Rezeption der künstlerischen Moderne in den politischen Wirren des 20. Jahrhunderts bietet.
Forschungsstelle „Entartete Kunst“
Die Forschungsstelle „Entartete Kunst“ ist Ende des Jahres 2002 auf Initiative der Ferdinand-Möller-Stiftung an der Freien Universität Berlin unter der Leitung von Prof. Dr. Uwe Fleckner gegründet worden. Mit seinem Ruf an die Universität Hamburg im April 2004 siedelte Fleckner dort eine Zweigstelle mit eigenem Forschungsschwerpunkt an. Seit 2007 leitet Prof. Dr. Klaus Krüger die Forschungsstelle in Berlin. Neben der Lehre und der Herausgabe einer eigenen Schriftenreihe widmen sich die wissenschaftlichen Mitarbeiter Einzelprojekten aus dem Themenbereich ihrer Forschungen, so haben sie im Jahr 2009 auf Anregung der Gerda Henkel und in Zusammenarbeit mit den Produzenten Gisela Graichen und Peter Prestel an dem Filmprojekt L.I.S.A. video teilgenommen und in ihrem Beitrag den Schicksalsweg eines verfemten Kunstwerks nachgezeichnet.
Förderung
Die Forschungsstelle „Entartete Kunst“ ist als ein langfristig Drittmittelprojekt angelegt und wurde bzw. wird durch folgende Stiftungen gefördert:
Ferdinand-Möller-Stiftung, Berlin
Gerda Henkel Stiftung, Düsseldorf
Hermann Reemtsma Stiftung, Hamburg
International Music and Art Foundation, Vaduz
Kulturstiftung der Länder, Berlin
zetcom AG, Bern u. Berlin
Fachbereich Geschichts- und Kulturwissenschaften, Freie Universität Berlin
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Beste Grüße
Karl-Otto Sauer
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Das Bildnis Scherer von Camenisch hat die EK-Nummer 15968. Es war in der Ausstellung "Entartete Kunst" in München 1937 enthalten, was in den entsprechenden Publikationen (München 1987 bis 5. Aufl. 1998 und dem Ausstellungskatalog Los Angeles/Berlin 1991/92) nachgeschlagen werden kann.
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Mot freindlichen Grüssen Jürg Düblin, Basel
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Zunächst einmal ist es mir ein besonderes Anliegen, Ihre Arbeit an dieser Stelle wertzuschätzen. Ich kann nur ahnen, wie viel Zeit und Mühe Sie in das Zusammentragen dieser Daten investiert haben.
Leider lässt sich die Datenbank aktuell nicht aufrufen. Wann ist sie denn voraussichtlich wieder verfügbar?
Beste Grüsse!
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