L.I.S.A.: Wer sind in Griechenland Träger des Antisemitismus?
Blümel: Die ideologische Grundstruktur des Antisemitismus wird in Griechenland von einer sehr breiten Bevölkerungsschicht getragen, die von der Linken weit ins bürgerliche Lager hinein bis über die Rechte reicht. Nur einige Beispiele aus der jüngsten Vergangenheit: Am 15. April 2010 entschied das oberste Gericht Griechenlands, der Areopag in Athen, dass die „zionistische Weltverschwörung“ auf Basis historischer Quellen beweisbar sei und folgte damit aufs Wort genau der Argumentation des selbsternannten Nationalsozialisten und Rechtsanwalts Konstantinos Plevris und dessen Buch „Die Juden. Die ganze Wahrheit“. „Das einzige, was die Juden verdienen [...] ist ein Exekutionskommando innerhalb von 24 Stunden“, so Plevris u.a. in seinem sich nach wie vor gut verkaufenden 1397 umfassenden Hasspamphlet, das nichts anderes als eine modernisierte Variante der „Protokolle der Weisen von Zion“ darstellt. Seit dieser Grundsatzentscheidung ist der Aufruf zum Mord an Menschen jüdischen Glaubens in Griechenland verfassungskonform, das heißt, er wird vom Meinungsfreiheitsbegriff gedeckt. Der doppelte Skandal dabei, das Urteil wurde gegen bestehendes griechisches Recht gefällt, wie der Jurist Nikos Zaikos auf der Konferenz in Berlin eindrucksvoll ausführte.
Aus diesem ideologischen Dunstkreis um Plevris entspringen jedoch auch Politiker mit hohen politischen Ämtern und gesellschaftlicher Entscheidungsgewalt. So beispielsweise der ehemalige Staatssekretär im Landwirtschaftsministerium und bis Juni 2014 amtierende Gesundheitsminister Adonis Georgiadis, der seine politische Karriere den Erfolgen der „Völkisch-orthodoxen Bewegung“ (LA.O.S.) verdankte und mittlerweile wieder in die Reihen der augenblicklichen Regierungspartei Nea Dimokratia (ND) zurückgekehrt ist. Er trat als Hauptvermarkter von Plevris’ Buch auf und ist der Meinung, dass „die Juden das internationale Bankensystem kontrollieren, durch das sie Länder wie Griechenland erpressen“; eine sehr weitläufige Vorstellung in Griechenland, die vor allem nicht ausschließlich nur von der Rechten vertreten wird. Premier Samaras (ND) ernannte zu seinem Nachfolger ausgerechnet niemand anderen als Makis Voridis, einen gestandenen Radikalnationalisten und Junta-Anhänger mit Verbindungen zu neonazistischen und faschistisch-paramilitärischen Organisationen bis hinunter zum Chef der Chrysi Avgi Nikos Michaloliakos. Seine Ernennung am 10. Juni 2014 rief nicht nur beim Zentralrat der Juden Griechenlands tiefe Beunruhigung hervor. Äußerungen wie die des Gründers und Parteichefs der LA.O.S Georgios Karatzaferis (2011-2012 Mitglied der nationalen Einheitsregierung, bis 2002 ND), der im Zuge der militärischen Auseinandersetzungen Israels mit der Hamas um die Jahreswende 2008/2009 in einem Leitartikel der Parteizeitung schrieb, dass „Juden nach Blut stinken“ würden, und „dass man von einer Rasse, die Gott gekreuzigt, nichts anderes erwarten kann“, ist tatsächlich nur die Spitze des Eisberges. Ein wenig unspektakulärer war der Fall des aus seiner Hitlerverehrung keinen Hehl machende Ioannis Kotoulas, der noch im Frühjahr 2013 als Berater für Staatsangehörigkeitsangelegenheiten im Innenministerium saß.
Wenn sich die sogenannte griechische Linke (Kommunisten und Sozialisten) über „die Juden“ zu Wort meldet, tut sie dies vorwiegend im Kontext des Nahostkonfliktes und greift dabei auf den Terminus „Zionisten“ zurück, der im linken politischen Diskurs gleichbedeutend mit Rassismus verwendet wird, trotz UN-Resolution von 1991. Hier spielen vor allen sekundäre Ideologeme des Antisemitismus eine starke Rolle. Das heißt, „den Juden“ bzw. hier „den Zionisten“ wird vorgeworfen, den Holocaust für ökonomische und politische Zwecke zu instrumentalisieren. Die daraus resultierenden Argumentationsmuster reichen dann von pauschalisierenden Nazi- und Holocaustvergleichen (Holocaust/Genozid an den Palästinensern) bis hin zu voraufklärerischen Motiven von „den Juden als Kindesmörder“ und „Jesuskreuziger“; und dies in einem eigentlich „linken“ politischen Spektrum, das darauf besteht, nicht antisemitisch sondern „nur“ antizionistisch gesinnt zu sein mit Verweis auf das sogenannte „Finkelsteinalibi“. So spricht beispielsweise auch der bekannte griechische Komponist und ehemalige kommunistische Widerstandskämpfer Mikis Theodorakis von „den Juden als der Wurzel allen Bösen“ und „den dunkelsten Kräften“, die, wenn man sie gewähren lässt, „wie man aus der Geschichte der 30er und 40er Jahre weiß, die Menschheit auf eine biblische Katastrophe hin zusteuern.“ Der dämonisierenden Gleichsetzung zwischen Nazis und Juden bedient sich auch der in Griechenland sehr bekannte Satiriker Jimmis Panousis, dessen „Troika-Club“ als Logo den in ein Hakenkreuz eingelassenen Davidstern trägt. Etwas weniger prominent verhielt es sich in dem Fall des ehemaligen Kandidaten der SYRIZA für Westmakedonien Theodoros Krypidis im Sommer 2013, der hinter dem neuen griechischen Staatssender NERIT die Verschwörung der Juden und Samaras sieht.
Dass „Hitler ein Instrument des internationalen Zionismus, finanziert von der Familie Rothschild“, war und dass „die satanistische und zionistisch-jüdische Lobby, die das internationale Bankensystem beherrscht, plant, die griechische Orthodoxie zu unterwandern“ sind nicht etwa Äußerungen aus dem Kreis der Chrysi Avgi. Sie kommen aus dem kirchlichen Spektrum, konkret von dem für seine antisemitischen Hasspredigten mittlerweile international bekannten Metropoliten von Piräus, Serafim. Trotz Widerstand aus den eigenen Reihen konnte er seine Ansichten in einem der größten Fernsehsender Griechenlands MEGA kurz vor dem Weihnachtsfest 2010 kundtun.