Sehr geehrter Herr Tietjen,
Ich bin Jahrgang 1948, geboren in Westberlin. Im Nachlass meiner Eltern fand ich Fotos meines Großvaters, Jahrgang 1896. Ich war überrascht, dass er auf einem Bild das "Hitlerbärtchen" trug. Meine Mutter hatte alle überlieferten Dokumente zur Person aufgehoben, so dass ich mich weiter mit dem Opa beschäftigen konnte. Nun, der Mann war Kommunist und Gewerkschafter bei der Reichsbahn am Anhalter Bahnhof in Berlin. 1933 war er dort Betriebsratsvorsitzender. Er wurde nach der Machtübernahme verhaftet und deshalb anschließend fristlos entlassen. Nach Haftentlassung war er ein Jahr arbeitslos und wurde dann von 1934 bis -45 am Bau des Ostwalls dienstverpflichtet. Wegen "Unzuverlässigkeit" wurde er nicht zur Wehrmacht eingezogen. Später lebte er als überzeugter Kommunist in Ostberlin wo er 1960 starb.
Mein Opa trug mit Sicherheit kein Hitlerbärtchen, sondern den Zweifingerbart. Dieser Schnurrbart war weit verbreitet, wie man auf Gruppenfotos in Bildbänden über die Arbeitswelt damals finden kann.
Charlie Chaplin spielte in seinen Stummfilmen den Underdog, den komischen Versager. Wer übernimmt von so einem die Bartmode? Hitler hätte nie den Bart eines Clowns getragen! Umgekehrt ist es logisch: Chaplin stattete seinen kleinen Mann mit dem weitverbreiteten aktuellen Bart des Proletariats aus. Der Bart war aktuelle Mode aus Amerika und in Europa. Und "Rotzbremse" war Berliner Schnauze.
Mit freundlichen Grüßen, Karl-Heinz Stieler