Lieber Herr Jensen,
Chapeaux und herzlichen Glückwunsch zu dieser hervorragend recherchierten Arbeit eines Sachsenhäuser Stadtteil-Historikers.
Erlauben Sie mir zwei Anmerkungen zu 2 Personen nämlich Herrn Prof Dr Dres h c mult Coing und Herrn Dr phil Arthur von Weinberg, aus dessen Park 1967 sein Villengrundstück über die Stadt Frankfurt erwarb.
1. Prof Dr Dres h c mult Helmut Coing 1912-2000
In seinem letzten Buch „Für Wissenschaft und Künste Lebensbericht eines europäischen Gelehrten“ herausgegeben von Michael Feldkamp schreibt Prof Dr Dres h c mult Helmut Coing 2014 S 25f seine Abneigung gegen den Nationalsozialismus und später gegen das Dritte Reich. Coing hatte nämlich Hitlers Buch „Mein Kampf“ und Rosenbergs „Mythos des 20. Jahrhunderts“ gelesen. Er hatte die Überzeugung die NSDAP bringe nur Unglück und ein neuer Weltkrieg ist zu erwarten. Vorlesungsstörungen und zeitweise Universitätsschließung erlebte er in München bis katholische Verbindungen eine Ordnung organisierten. Ein Auslandsstudium mit DAAD Stipendium absolvierte er in Lille, um dann 1934 das Referendarexamen in Celle abzulegen. Bei dem jüdischen Gelehrten Prof Gerhard Leibholz wollte er promovieren. Der musste nach seiner Entlassung 1935 nach England emigrieren. Bei Prof Wolfgang Kunkel für römisches Recht promovierte er zum Thema „Die Frankfurter Reformation von 1578 und das Gemeine Recht“. Coing beschreibt die Diktatur und die Zerstörung der des Rechtsstaates als Phänomen: Die Verbindung von Terror und Enthusiasmus hat es schon einmal in der Geschichte gegeben, unter der Herrschaft der Jakobiner in Frankreich.
Um nicht in die Partei einzutreten und doch etwas vorzuweisen, was unter dem Regime positiv beurteilt würde, absolvierte er 1935/36 bei der Reichswehr ein Freiwilligenjahr beim Infanterieregiment 6. Auf Empfehlung seines Doktorvaters wurde Coing Assistent bei Prof Genzmer und habilitierte 1939 mit dem Thema „Die Rezeption des römischen Rechts in Frankfurt zum Dr jur habil“. Während seines Referendariats arbeitete er in der Rechtsanwaltskanzlei Boesebeck Barz und Partner, sein Assessorexamen bestand der 1939. Sofort wurde er 1939 einberufen und verbrachte den ersten Kriegswinter als Bataillonsadjutant im Westfeldzug, nach dem Waffenstillstand 1940 kam er in der Normandie zur Vorbereitung der Landung in England. 1941 wurde im Russlandfeldzug eingesetzt. Im Heimaturlaub für Vorlesungen an der Universität Frankfurt heiratete er, 1942 Geburt der Tochter. 1943 Beförderung zum Divisionsadjutant und dann Hauptmann an der belgischen Kanalküste. Nach Landung der Alliierten 1944 Verlegung zur erfolglosen Verteidigung von Fontainebleau gegen die Amerikaner, Rückzug an die deutsche Grenze und amerikanische Gefangenschaft. Nach Entlassung 1945-1949 Neustart in Wiesbaden und erste Gastprofessur in Chicago, 1950 Yale und Havard, Wahl in den Synodalausschuss der evangelischen Kirche Hessen Nassau. Prof Dr Ralf Roth schreibt in seinem Band 2 „100 Jahre Frankfurter Gesellschaft für Handel Industrie und Wissenschaft. Eine bewegte Geschichte.“ S 463 als unbelastet eingestuft erreichte 1948 Coing der Ruf zum Ordinarius für Bürgerliches und Römische Recht.
Weiter schreibt Helmut Coing auf S 81 „1949 bekamen wir eine schöne Wohnung an der Forsthausstraße (96): „une belle avenue“ wie ein Schweizer Kollege beim Besuch sagte“. Und weiter schreibt er, „nach Übernahme des Max Planck Instituts MPI für europäische Rechtsgeschichte in der Feldbergstrße 28 als Direktor 1964 konnten wir uns 1967 ein eigenes Haus bauen“. Dazu meine Ergänzung, es war ein Architektenhaus, eine Villa mit Garten. Coing lebte nicht weit von der Forsthausstraße 96 in der Seitenstraße Holzhecke. Sein Chauffeur fuhr ihn im Mercedes zu seinen Vorlesungen und Seminaren an der Goethe-Universität, zur Thyssenstiftung und MPI.
Und jetzt beschreibt Prof Dr Dres h c mult Coing, aus wessen Besitz sein Grundstück stammt. „Wir bekamen – meine Ergänzung von der Stadt Frankfurt – noch ein Grundstück in dem früheren Weinberg`schen Park.“
Coings Leitspruch „Von Bologna nach Brüssel“ und sein Engagement für ein Europäisierung der Rechtswissenschaft müssen erwähnt werden:
Coing in NJW 1990, 937 und 1974 Jahrbuch MPG S 24 ff
Gemeinsame histor. Grundlagen des Rechts im kontinentalen
Europa und Common Law und natürlich sein Hinweis auf die gemeinsame
europäische Rechtsgeschichte seit 1088 (Gründung Universität Bologna).
Weiter gehört zu Coings Engagement (vgl auch das Interview G. Chatzoudis):
„Für die Gerda Henkel Stiftung hat Helmut Coing noch eine besondere Bedeutung, denn er war 1976 an der Gründung der Stiftung entscheidend beteiligt und amtierte anschließend viele Jahre als Vorsitzender ihres Wissenschaftlichen Beirats.“
2. Dr phil Arthur von Weinberg 1860-1943
Zuletzt las über Dr phil Arthur von Weinberg der Historiker Prof Dr Ralf Roth an der Universität des 3. Lebens Goethe Universität U3L. Im WS 2021 bis SS 2022 war Prof Roths Thema „Frankfurter Bürger und die Welt des 20. Jahrhunderts“. Diese hat er in seinen zwei Buchbänden „100 Jahre Frankfurter Gesellschaft für Handel Industrie und Wissenschaft. Eine bewegte Geschichte.“ 2019 S 328 – 340 beschrieben.
Wie kam es dazu, dass Prof Dr Coing 1967 ein Grundstück in dem früheren Weinberg`schen Park als Eigentum erhalten konnte?
Dr von Weinberg war vom Judentum ausgetreten und evangelischer Christ geworden. Das half ihm im 3. Reich nicht, er war sog. Judenchrist. Als solcher war als Träger des Davidsterns und als „Judenchrist“ vom
evangelischen Gottesdienst und aus der evangelischen Kirche ausgeschlossen. Der Kirchen-Ausschluss erfolgte aufgrund der Erklärung der evangelischen Landeskirche Nassau Hessen (neben sechs anderen evangelischen Landeskirchen) vom 17.12.1941. Der Geheime Regierungsrat Dr Arthur von Weinberg war von 1935 bis 1939 nicht arisch versipptes Mitglied der Frankfurter Gesellschaft für Handel Industrie und Wissenschaft, Siesmayerstr. 12, 60323 Frankfurt am Main.
Nach den Novemberpogromen 1938 wurde von Weinberg gezwungen, seine 1908 erbaute Villa Haus Buchenrode in Frankfurt-Niederrad für einen Bruchteil des Wertes an die Stadt zu verkaufen und den Verkaufserlös als willkürliche Judenvermögensabgabe an die städtische Finanzkasse abzutreten. Zeitzeugen berichten, dass der damalige Oberbürgermeister Friedrich Krebs und andere nationalsozialistische Funktionäre sich gewaltsam Einlass verschafft und den fast achtzigjährigen, seit 1935 verwitweten Arthur von Weinberg mit dem Satz – Der Jud muss raus – in den Park geschickt haben, um den Zwangsverkauf des Hauses vorzubereiten.
Prof Roth schreibt S 338:
„Auch von Weinberg fiel dem Holocaust zum Opfer. Er wurde in seinem selbstgewählten Asyl in Bayern 02.06.1942 verhaftet und in hohem als „Prominenter“ in das Konzentrationslager Theresienstadt eingeliefert. Er bewohnte dort ein sog. „Prominentenhaus“… Der große Konzernlenker war letztendlich schutzlos wie ein Vogelfreier im Mittelalter… Geschwächt durch eine Gallenblasenoperation ist er qm 20.03.1943 im KZ gestorben. Seine Urne wurde auf Befehl der Machthaber mit Tausenden anderen in den Fluss Ohre damals Eger geworfen.“
Im Frankfurter Lexikon heißt es zu Adolf Miersch:
„Nach eigener Aussage hat er als Obermagistratsrat im Liegenschaftsamt persönlich die Verhandlungen bei der „Arisierung“ von Immobilien aus jüdischem Besitz durch Verkauf an die Stadt Ffm. geleitet; so unterschrieb er von städtischer Seite u. a. 1938 den Kaufvertrag über das Haus Buchenrode von Arthur von Weinberg und war nach dem Krieg mit der Restitution desselben Anwesens befasst. Auf Anordnung des amtierenden Bürgermeisters Wilhelm Hollbach, der sich schon ab Mai 1945 für eine Rückgabe der Immobilien einsetzte, die die Stadt Ffm. in der NS-Zeit im Zuge der „Arisierung“ erworben hatte, erstellte Miersch ab Ende Juni 1945 eine Liste „Haus- und Grunderwerb der Stadtgemeinde Ffm. von Juden seit 30. Januar 1933“, die er am 11.7.1945 Hollbachs Nachfolger Kurt Blaum vorlegte; die in den Magistratsakten überlieferte Liste verzeichnet 170 einzelne Häuser und Grundstücke, die die Stadt Ffm. in der Zeit vom 20.4.1936 bis zum 30.11.1942 aus jüdischem in ihren Besitz gebracht hat.
Miersch war so erfolgreich, dass er nach 1945 unter dem SPD Stadtoberhaupt Dr. h.c. Walter Kolb die Restitution bearbeiten durfte.
Auf Anregung der Stadtverordnetenversammlung vom November 2018 soll die „Miersch-Liste“ zum Ausgangspunkt für eine wissenschaftliche Studie zur systematischen Erforschung der „Arisierung“ von Grundbesitz durch die Stadt Ffm. werden, was auch die bisher noch ausstehende grundlegende Untersuchung und gültige Einordnung von Mierschs Rolle in der NS-Zeit aus historischer Sicht zur Folge haben könnte.“
Diese Studie gibt es nicht und so ist Miersch seit 1953 Ehrenbürger der Stadt Frankfurt, 1954 Ehrenbürger der Universität und er hat im Gegensatz zu von Weinberg eine Ehrengrabstätte auf dem Frankfurter Südfriedhof (Gewann B/adM 269a). Auch ist nach ihm die Adolf-M.-Siedlung und Adolf-M.-Straße in Niederrad benannt.
Der damalige Oberbürgermeister Krebs wurde von den Amerikanern 03.04.1945-31.01.1948 inhaftiert und es erfolgte 12.12.1947 seine Einstufung „minderbelastet“ plus Strafe 2 Jahre Gefängnis auf Bewährung und Zahlung 35.000 Mark an den Wiedergutmachungsfond sowie Verfahrenskostenauferlegung. Bewährungszeitende war 1949 und Einstufung als „Mitläufer“ ließ Krebs Wahl als Stadtverordneter der DP 1952 zu sowie seine Zulassung als Rechtsanwalt. Pension erhielt Krebst nicht als OB sondern als Amtsgerichtsrat.
Viele Grüße
Heinz Hupfer