Was haben der Garten Eden, unser Schrebergarten-Glück und die Insel Utopia gemeinsam? Nichts, ausser dem vagen Versprechen auf Wunscherfüllung. Doch der erste Blick trügt. Denn sie alle verweisen auf Orte, die sich von ihrer profanen Umgebung auf spezifische Weise abgrenzen: All diese Paradiese verfügen über eigene Zwecke, Räume und Zeiten.
Paradiese überraschen als subversive Gegenwelten oder bestätigen unsere Ambitionen in Reinform. Sie trösten über Hunger, Arbeit und Mühsal hinweg oder schaffen ausgleichende Gerechtigkeit. Doch Paradiese sind exklusiv. Sie sind, darauf macht bereits das altiranische Wort pairi-daēza aufmerksam, «umgrenzte Bereiche» - mit hohen Transitbedingungen: Wer hinein will, muss sterben, glauben, lieben oder sich durch einen Griessbreiberg hindurchfressen. Nur für Paradiese auf Zeit, fürs Einkaufsparadies oder Hotel Eden, reicht die Gold Card. Wer die Zugangskontrolle übersteht, begegnet Fülle und Überfluss und bleibt doch unter seinesgleichen. Schliesslich muss man es in so einem Paradies ja auch aushalten – gelegentlich eine ganze Ewigkeit.
Im Paradies gibt es mehr Verbote als in der Hölle.
Jüdisches Sprichwort
Die vierte Ausgabe der Avenue will anhand von Paradiesen unsere Sehnsucht vermessen. Deshalb suchen wir für Forschungsstand Paradiese Geisteswissenschaftlerinnen und Sozialwissenschaftler, die sich Schlaraffenländern, Utopien, Gärten und Hotelanlagen aus unterschiedlichen Perspektiven und Disziplinen nähern. Drei Aspekte möchten wir besonders in Blick nehmen: Den Raum, die Zeit und den Zweck von Paradiesen.
- Raum: Wie können die Grenzen zu einem Paradies überwunden werden? Wie gestaltet sich die Binnenarchitektur eines Paradieses und was symbolisiert sie? Wie jenseitig oder diesseitig, wie himmlisch oder irdisch sind Paradiese?
- Zeit: Ist das Paradies schon verloren oder erwartet es uns in der Zukunft? Liegt es wie eine utopische Insel unentdeckt in der Gegenwart? Und wie entgeht das ewige Leben der Langeweile – auch rhetorisch, wenn von ihm erzählt wird?
- Zweck: Welche Sehnsüchte bedienen und nähren Paradiese? In welchem Verhältnis stehen sie zur Lebenswelt: wirken sie konservativ, karnevalesk oder subversiv? Gehorcht der ständige Aufschub einer Erlösung im Paradies gar einer Idee der Ausbeutung: machen Paradiese gefügig, brav und fleissig?
Diese Aspekte versprechen interessante Rückschlüsse, wie Paradiese unsere Hoffnungen und Sehnsüchte organisieren.
Wir suchen Beiträge
Die Avenue – Das Magazin für Wissenskultur ist die einzige populärwissenschaftliche Zeitschrift für Geistes- und Sozialwissenschaften im deutschsprachigen Raum. Sie erscheint zunächst als offene Diskussionsplattform online, im sogenannten Avenue Salon. Nach der Diskussion im Netz gelangen die Inhalte samt ausgewählten Kommentaren in den Druck.
Für die vierte Ausgabe zum Thema Forschungsstand Paradiese suchen wir verständliche, kurze und präzise Beiträge aus den verschiedenen Disziplinen der Geistes- und Sozialwissenschaften. Zu den gesuchten Formaten gehören wissenschaftliche Artikel, Reportagen, Positionen genauso wie Interviews. Zur Inspiration mögen die Beiträge der ersten drei Ausgaben dienen. Für Orientierung bezüglich Umfang und Sprachduktus wiederum sorgt folgende Seite.
Fair content
Mit der Avenue setzen wir uns für fair content ein. Damit wollen wir wissenschaftliches und wissenschaftsjournalistisches Schreiben nicht nur angemessen honorieren, sondern auch ein Zeichen setzen: Geistes- und sozialwissenschaftliches Denken und Wissen sind wertvoll! Da für die Avenue noch keine langfristige Finanzierung gefunden ist, bitten wir die Autorinnen und Autoren, vorerst mit einer Entschädigung von 250 € pro Beitrag zu rechnen.
Wir freuen uns über Exposés von bis zu 500 Wörtern, die spätestens am 19. Juni 2017 bei uns eintreffen: corinna.virchow@avenue.jetzt und mario.kaiser@avenue.jetzt. Am 20. Juni entscheiden wir, welche Skizze wir für geeignet halten, um als Beitrag für die Avenue ausgearbeitet zu werden.
Wir danken herzlich für die Kenntnisnahme und Verbreitung dieses Call for Exposés und freuen uns jetzt schon über zahlreiche Einsichten und Reflexionen zum Thema Paradiese.
Corinna Virchow Mario Kaiser