L.I.S.A.: Sie sind Historiker. Wie steht es um den Nutzen der digitalen Welt für eine wissenschaftliche Disziplin wie die Geschichtswissenschaft? Was müsste sich da ändern? Wie könnte eine Geschichtswissenschaft im digitalen Zeitalter aussehen? Wie stehen Sie zum Urheberrecht?
Reinhardt: Die digitalen Mittel sind ein großartiger Gewinn für die Wissenschaft. Wo man als Sphragistiker früher in ein Museum fahren musste, um sich ein Siegel anzuschauen oder als Numismatiker in eine Bibliothek wegen der Münzen, kann man heute im Internet vorsondieren, ob sich die Fahrt überhaupt lohnt.
Ich erinnere mich noch sehr gut an die Einweisungen in die Bibliotheken, bei der wir lernten die analogen Kataloge zu lesen. Oft musste man auf der Suche nach Büchern nacheinander in verschiedenen Katalogen und in verschiedenen Räumen nachschauen, da die Synchronisierung verschiedener, oft nachgekaufter Bestände unglaublich zeitaufwendig war. Durch die Umstellung der Kataloge auf die Online-Benutzung spart man sich den vergeblichen Weg in die Bibliothek und kann bequem aussuchen, welche Bibliotheken man durchsucht.
Gleichzeitig bekommt die Frage der Quelle eine neue Dimension, die es kritisch zu hinterfragen gilt: Welche Informationen sind im Netz vertrauenswürdig? Welche Möglichkeiten gibt es, Quellen bzw. Dokumente zu verifizieren? Nehmen wir das Beispiel Wikileaks. Zeithistoriker bekommen hierbei einen völlig neuen Zugriff auf Dokumente, gleichzeitig neue Möglichkeiten große Datenmengen auszuwerten. Ein Fall Kurras, also die späte Entdeckung, dass der Polizist Kurras, verantwortlich für den Tod Benno Ohnesorgs, für die Stasi arbeitete, ist unter digitalen Umständen weniger wahrscheinlich.
Da geht natürlich auch eine große Verantwortung mit einher, vor allem wenn es um Geschichtsschreibung geht. Die Aufgabe der Historiker wird noch stärker in der Kontextualisierung von Quellen liegen als bisher und weniger in dem Erzählen von Geschichte. Nicht zuletzt, weil Texte ohne Quellenangaben nicht mehr funktionieren. Das ist nicht zuletzt ein Resultat der simplifizierten Überprüfung.
Nicht zu vergessen an der Stelle ist natürlich die Möglichkeit, Plagiatoren schneller zu finden, was sich nicht nur, aber vor allem für die Lehre positiv auswirken wird. Auf der anderen Seite muss man natürlich sehen, dass der Druck schnell zu publizieren zunehmend größer wird. Da knüpft dann auch die Frage nach dem Urheberrecht an.