Aus der Schweizerischen Volkspartei (SVP) kam zuletzt zum wiederholten Mal die Forderung, auf Disziplinen der Geistes- und Sozialwissenschaften einen Numerus Clausus einzuführen. Dadurch soll die Zahl der Studierenden - derzeit rund 45.000 in den Geistes- und Sozialwissenschaften - um die Hälfte reduziert werden. Die Begründung aus der SVP: Auf dem Arbeitsmarkt gibt es keine Verwendung für so viele Absolventen aus diesen Studiengängen. Stimmt das? Macht ein NC auf geistes- und sozialwissenschaftliche Fächer Sinn? Wir haben den Historiker Prof. Dr. Lucas Burkart von der Universität Basel gefragt.
"Diese Frage zu stellen, ist völlig richtig"
L.I.S.A.: Herr Professor Burkart, in der Schweiz gab es in den vergangenen Woche wieder eine lebhafte Debatte über die Geisteswissenschaften. Aus der Schweizerischen Volkspartei (SVP) kommt die Forderung, einen Numerus Clausus (NC) auf geisteswissenschaftliche Studien einzurichten. Wie kommt es zu dieser Initiative?
Prof. Burkart: Die Forderung ist ja nicht neu. Vor gut zwei Jahren hat sie Rudolf Minsch formuliert, damals Chefökonom der Economiesuisse, des Interessenverbandes der nationalen Wirtschaft. In diesem Kielwasser wurde die Idee dann wiederholt von liberal-konservativen Bildungspolitikern aufgegriffen. Auf dieser Linie ist nun auch der jüngste Vorstoß der nationalkonservativen Volkspartei zu verstehen, die sich ja vermehrt um die kantonalen Bildungsministerien bzw. die Bildungspolitik bemüht.
Der Vorstoß ist aber auch in einem größeren Zusammenhang zu sehen, der sich nicht auf die Schweiz beschränkt. Die Frage lautet: wozu dienen die Geisteswissenschaften einer Gesellschaft und weshalb soll diese sie sich leisten? Diese Frage zu stellen, ist völlig richtig. Doch sie lässt sich nicht beantworten, indem man alleine auf die zu geringe direkte ökonomische Verwertbarkeit der Geisteswissenschaften verweist.
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ich danke Ihnen für Ihre Rückmeldung. Sie haben Recht damit, dass Geisteswissenschaftler oft nicht wissen, was sie eigentlich außerhalb von Bildung und Forschung zu bieten haben. Auch ist ein gewisser Anteil an kritisch gebildeten Bürgern unabdingbar für eine freie und demokratische Gesellschaft, doch am Ende bleibt doch festzustellen, dass viele hinterher umschulen müssen und/oder mit ihrer Karriere sehr unzufrieden sind. Und es können nun mal nicht alle Unternehmer werden, wie es von wirtschaftsliberaler Seite teilweise geäußert wird (was ich Ihnen keinesfalls unterstellen möchte). Viele sind dafür nicht geeignet und auch für diese Menschen muss es Möglichkeiten geben, ihren Lebensunterhalt würdevoll zu bestreiten. Dafür sollte idealerweise ihre (Aus)Bildung sorgen.
Sehr geehrter Dr. Hülden,
ich gebe Ihnen vollkommen Recht, dass das Wort "derzeit" (...wären in Politik und Gesellschaft vor allem die sogenannten wirtschaftlich effizienten Berufe gefragt) suggeriert, es wäre jemals anders gewesen. Das ist meines Erachtens nämlich nicht der Fall. Es ist zwar nicht zu bestreiten, dass aufgrund der Globalisierung und der damit einher gehenden globalen Konkurrenz der Arbeitskampf härter geworden ist, doch lief der Niedergang der Geisteswissenschaften nicht parallel hierzu. Die seit Jahrzehnten explodierenden Absolventenzahlen haben nun mal auch die Anzahl der Geisteswissenschaftler wachsen lassen, obwohl der Markt nicht dementsprechend wuchs. Die staatlichen Stellen sind und waren stets begrenzt und die Arbeitsmöglichkeiten in Verlagen und anderen wissenschaftsnahen Unternehmen sind nicht im gleichen Maße gewachsen wie die Masse der Absolventen. Ich teile auch Ihre Einschätzung, dass die Marktdominanz in überschaubarer Zeit nicht ersetzt werden und sich auf den Arbeitsmärkten für Geisteswissenschaftler kaum eine Verbesserung einstellen wird. Ich denke, das Ansehen der Geisteswissenschaften ist und war nur bei einem relativ kleinen Teil der Bevölkerung hoch und wird es auch bleiben.
Die Formulierung "gesellschaftliche Selbsterneuerung" ist in der Tat sehr versatzstückartig, ist aber nicht falsch. Nach meiner Interpretation ist hierunter die potentielle Fähigkeit eines kritischen Individuums gemeint, sich selbst und die Gesellschaft neu zu hinterfragen und bei Bedarf zu ändern (zu allererst sich selbst). In einfachen Worten: wenn man merkt, dass in der mitteleuropäischen Gesellschaft etwas nicht rund läuft und Tendenzen erkennbar sind, die auf mittlere Sicht in eine ökonomische oder soziale oder sonstwie geartete Katastrophe führen können, dann muss man was ändern. Änderungen sind jedoch immer Arbeit und mit Mühen verbunden, weshalb die Meisten Änderungen nicht mögen. Wenn man jedoch verstanden hat, dass sie nötig sind und einverstanden ist mit ihrer Umsetzung, kann man ihnen entweder nicht im Wege stehen oder aktiv mit helfen und andere beim Verstehen unterstützen. Da Änderungen in einem demokratischen System von einem gewissen Prozentsatz getragen (und überprüft) werden müssen, braucht man einen Anteil an Verstehenswilligen. Im Besonderen ist anzumerken, dass Probleme und Lösungen nicht allein aus ökonomischer Sicht gesehen werden dürfen. Die ökonomische ist eine wichtige, aber eben nur eine Sicht unter vielen. Soziale, historische, politische und rechtliche Aspekte spielen auch eine Rolle und bedürfen der Fürsprache und vor allem auch des Verständnisses. Letzteres erlangt man aber nur, wenn es genug Personen gibt, die Willens und in der Lage sind, komplizierte Sachverhalte zu durchdringen.
Wer den Hebel zu dieser Selbsterneuerung an welcher Stelle ansetzen soll, ist eine schwierige Frage. Ich denke, man sollte solche Veränderung überhaupt nicht steuern. Sie geschehen von ganz allein durch die Selbstorganisation von Individuen. Nehmen Sie die sog. Homo-Ehe. Dass die gleichgeschlechtliche Ehe kommt, ist vollkommen klar, nur nicht wann. Dabei hat niemand von oben gesteuert, dass nun bald auch Schwule und Lesben heiraten können sollen. Die Menschen sind allgemein toleranter geworden und gewöhnen sich an den Gedanken. Da muss man nichts im Speziellen forcieren - das geschieht von allein.
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Die zweite Frage schließt unmittelbar daran an und betrifft die Formulierung "gesellschaftliche Selbsterneuerung", mit der ich zugegebenermaßen wenig anfangen kann. Da wüsste ich gerne, was ich denn aus geisteswissenschaftlicher Perspektive (von mir aus aber auch ganz allgemein) darunter konkret zu verstehen habe. Wer soll sich denn da in welche Richtung genau selbst erneuern? Und wer soll eigentlich den Hebel zu dieser Selbsterneuerung an welcher Stelle ansetzen?
Zu beiden Fragen würden mich Reaktionen freuen.
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danke für Ihre Anerkennung, jedoch muss ich Ihrem Kommentar noch etwas hinzufügen. Natürlich sind es auch meine Orts- und Sprachkenntnisse, die ausschlaggebend sind für meinen Werdegang, allerdings hat gerade meine geisteswissenschaftliche Ausbildung einen hohen Anteil an diesem Erfolg. Zunächst einmal habe ich u.a. viele meiner Kenntnisse und Fähigkeiten zu Iran durch die Arbeit in archäologischen Projekten erlangen können (http://beratung-iran.de/?page_id=8); zudem ermöglicht es mir meine wissenschaftliche Ausbildung und nicht zuletzt die Auseinandersetzung mit einem umfangreichen und komplexen "Projekt" wie meiner Dissertation, mich mit neuen und vielschichtigen Themen auseinandersetzen zu können.
Ich möchte damit sagen, dass viele Geisteswissenschaftler nicht wissen, was sie alles zu bieten haben und wie sie damit für sich werben können. Als ich Stipendiatin der Gerda Henkel Stiftung war, habe ich viele andere Stipendiaten kennen gelernt, die ein ausgeprägtes Wissen über Länder oder gewisse Bereiche besitzen, das weit über die Kenntnisse mancher sogenannter Experten geht.
Wenn ein Geisteswissenschaftler eine Laufbahn ausserhalb der Universität oder der Forschung einschlagen möchte, ist es natürlich nicht leicht, seine Nische zu finden. Dennoch bin ich der Auffassung, dass es mehr Möglichkeiten gibt, als es allgemein bekannt ist. Es wird leichter, wenn junge Wissenschaftler früh ihre Weichen stellen, um rechtzeitig Netzwerke, Kontakte und Zusatzwissen aufzubauen. Wünschenswert wäre es daher, wenn die Universitäten, Institute und Fachbereiche an diesem Punkt eine grundlegende und kompetente Unterstützung bieten würden, etwa durch Coachings, evtl. als Ausgleich für die hohen Materialkosten, die andere Fächer aufweisen, wie es auch Prof. Burkart im Interview andeutet. Derzeit sind in Politik und Gesellschaft vor allem die sogenannten wirtschaftlich effizienten Berufe gefragt (Stichwort Wirtschaftswachstum). Ich halte es aber nicht für sinnvoll die Zahl der Geisteswissenschaftler zu reduzieren, denn dadurch würde uns eine große Gruppe, kritisch sowie vielseitig denkender und einsetzbarer Personen abhanden kommen, die wertvoller für unsere Gesellschaft sind als es zunächst ersichtlich ist. Herr Prof. Burkart nennt hier die gesellschaftliche Selbsterneuerung, zu der gerade Geisteswissenschaftler einen wichtigen Beitrag leisten.
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Ich finde den Vorstoß einer Verkleinerung bestimmter Wissenschaftszweige gar nicht verkehrt, denn in Dtl. stellt sich die Situation anders dar, als in der Schweiz (wo laut Artikel 95% in einem Job sind - Allerdings verrät diese Zahl noch nicht, welchen Job diese 95% ausüben.). Doch wenn ich die Wege meiner Bekannten nach verfolge, so sehe ich da oftmals nicht die Karrieren, die man sich vorgestellt hat. Die Meisten finden ihr Betätigungsfeld außerhalb der studierten Disziplinen und viele müssen sich durch Zweitstudium oder Lehre neu qualifizieren. Gern tun dies die Wenigsten, viele hadern im Nachhinein mit ihrer Studienwahl und sind frustriert.
Fragt man die Unis, so möchten diese freilich keine Studenten verlieren, weil mehr Studenten, mehr Geld bedeutet. Doch auf deren Zukunft wird kaum geachtet. Es wäre angebracht, über andere Betreuungsschlüssel nachzudenken, da Geisteswissenschaften nun mal stark argumentativ geprägt und diskussionslastig sind und daher ein anderes Verhältnis zwischen Lehrenden und Lernenden erfordern. Die weit geringeren Materialkosten im Verhältnis zu anderen Wissenschaften würden den relativen personellen Mehraufwand ausgleichen.
Fragt man hingegen die Lehrenden, so sind viele der Ansicht, dass ein wenig mehr Auslese nicht schaden könnte.
Im übrigen möchte ich noch einen Hinweis zu einem älteren Artikel äußern, der auf Ihrer Seite erschien (http://www.lisa.gerda-henkel-stiftung.de/in_der_wirtschaft_wird_ein_doktor_titel_sehr_geschaetzt?nav_id=5121). Dr. Bagherpour beschreibt darin, wie ihr ihr Doktortitel in Archäologie zu einer Laufbahn in der Wirtschafts- und Kulturberatung verholfen hat. Erst einmal Hut ab zu diesem Werdegang und zu der Leistung. Was aber leider etwas untergeht ist, dass nicht ihr Abschluss hier den Ausschlag gegeben hat, sondern im erheblichem Maße ihre Sprachkompetenz und Ortskenntnis, die sie ihrer halbiranischen Herkunft und ihren Reisen zu verdanken hat. Der Abschluss ist hier mehr so eine Art Bonus. Der allein hätte ihr wenig gebracht. Es wäre durchaus ehrlich, den jungen Studieninteressierten klar zu machen, dass nach dem Abschluss eine sehr harte Zeit auf sie zukommen wird.
Es gibt m.E. von fachlicher Seite eigentlich keinen Grund, warum man nicht ein wenig strenger bei den Zugangskriterien sein könnte.