Das Thema der „SS-Gerichtsbarkeit im III. Reich“ (und ihre hintertriebene Aufarbeitung in der Bundesrepublik) wurde Anfang Oktober 2015 durch den Film von Lars Kraume über den Frankfurter Staatsanwalt Fritz Bauer breiteren Kreisen und damit dem „kollektiven Gedächtnis“ in Erinnerung gerufen in einer Weise, wie es bisher Zeitzeugen oder Zeithistorikern nicht möglich war. Auch in der Dokumentation des französischen Regisseurs Michaël Prazan aus dem Frühjahr 2015 über die Geschichte der SS-Division „Das Reich“ an der Westfront („Eine Blutspur durch Frankreich“) und die beiden Massaker von Tulle und Oradour im Juni 1944 behandelt der Autor diesen thematischen Aspekt (Film bereits eingestellt auf youtube).
Unverständlich, dass in Prazans Arbeit der Name des beteiligten Militärrichters und SS-Divisionsrichters – Detlef Okrent (1909-1983) – in einer entscheidenden Szene nicht genannt wird. Vorliegende Arbeit setzt sich zum Ziel dessen Wirkungen nachzuweisen und anhand erreichbarer und zugänglicher Quellen die Biographie Okrents zumindest in Ansätzen zu rekonstruieren. Dabei gibt es fließende Übergänge zwischen jüngerer Zeitgeschichte des Sports als Kulturgeschichte sowie der Einbeziehung von Alltags-, Politik- und Rechtsgeschichte: Mitglied und Leistungsträger der ersten Herrenmannschaft des Rostocker Hockeyclubs, als Mitglied der SS im Hockey-Olympiakader (unter Trainer Widmund) und Silbermedaillengewinner der Olympiade von 1936 in Berlin, Ende der 1930er Jahre juristisches Endexamen und berufliche Tätigkeiten als Jurist; 1939 Eintritt in die Waffen-SS, Dienst als SS-Führer beim Hauptamt SS-Gericht München, dort dem ehemaligen Geschäftsführer des deutschen Turnerbundes und engem Vertrauten Heinrich Himmlers, SS-Gruppenführer und Generalleutnant der Waffen SS Franz Breithaupt (1880-1945) direkt unterstellt, Kriegsdienst und Aktivierung als Militär- und SS-Richter, dabei Heinz Lammerding (1905-1971) SS-Gruppenführer und Generalleutnant der Waffen SS direkt unterstellt, ebenfalls ein Protogé Himmlers; Internierung von 1945 bis 1948 im Civil Internment Camp No. 6 Neuengamme bei Hamburg für SS-Angehörige und NS-Funktionäre.
Nach seiner Entlassung und Entnazifizierung (Belastungsstufe IV auf V [Unbelastet]) schließt sich Okrent dem Flensburger Hockeyclub an, wird 1950 in der Vorrunde zur Deutschen Feldhockeymeisterschaft eingesetzt, wechselt im gleichen Jahr mit dem späteren Hockeynationalspieler Franz Nikodem zum Köln-Marienburger Sportclub, wird dort Trainer und Clubsekretär; 1954 berufliche Veränderung als „Einkaufsleiter in NRW“ und Wegzug von Köln-Marienburg nach Leverkusen; Vernehmung als Zeuge und Angeklagter in gerichtlichen Verfahren wegen Kriegsverbrechen der Waffen-SS in Frankreich, die alle niedergeschlagen worden sind. In Leverkusen wohnhaft bis zu seinem Tod 1983. Eine Verbindung zur HIAG (Hilfsgemeinschaft auf Gegenseitigkeit ehemaliger SS-Angehöriger) wird vermutet, da es noch gesperrte Quellen über Okrent aus dem HIAG-Nachlass im BA/Militärarchiv Freiburg gibt.