Die Forschung zum deutschen Kolonialismus war lange Zeit geprägt von einer zeitlichen Verengung auf die verhältnismäßig kurze Phase, in der das Deutsche Reich über Kolonien verfügte. Die gesellschaftliche Bedeutung des kolonialen Projekts vor und nach dieser Phase rückte zuletzt immer mehr in den Fokus. Aber auch geografisch konzentrierte sich die Forschung meist auf die kolonialen Zentren des Reichs, also Berlin und Hamburg. Der Kolonialismus und die damit einhergehenden Kolonialwissenschaften hatten jedoch auch abseits dieser Zentren großen Einfluss. Wie sah der universitäre Alltag in anderen Städten aus? Was wurde gelehrt und inwiewiet wurde dort durch vermeintliche Wissenschaftlichkeit der Kolonialismus legitimiert. Dr. Anne-Kathrin Horstmann ist diesen Fragen am Beispiel der Kölner Hochschulen nachgegangen. Ihre Recherchen in den Hochschularchiven der Stadt sowie Archiven in Berlin und Leipzig geben einen Einblick, wie tief der Kolonialismus in der Universitätslandschaft – aber auch der Gesellschaft – verankert war. Wir haben ihr dazu unsere Fragen gestellt.
"Die wissenschaftliche Untermauerung des kolonialen Diskurs"
L.I.S.A.: Frau Dr. Horstmann, Sie beschäftigen sich in ihrer Studie mit den Kolonialwissenschaften an den Kölner Hochschulen. Was genau ist darunter zu verstehen und wie muss man sich vor diesem Hintergrund den universitären „kolonialen Alltag“ an den Kölner Hochschulen vorstellen? Was wurde an den Kölner Hochschulen in welchen Disziplinen gelehrt und erforscht?
Dr. Horstmann: Unter Kolonialwissenschaften sind all jene Disziplinen oder Teilgebiete einzelner Disziplinen zu verstehen, die sich mit „kolonialen Fragestellungen“ beschäftigt haben und Wissen produzierten, das das koloniale Projekt sowohl theoretisch als auch praktisch in vielen Teilen überhaupt erst möglich machte. Auch die Kölner Hochschulen – worunter die heutige Universität zu Köln sowie ihre Vorgängerinstitutionen, die Städtische Handelshochschule (als direkte Vorgängerinstitution der heutigen WiSo-Fakultät) sowie die Akademie für praktische Medizin (als direkte Vorgängerinstitution der heutigen Medizinischen Fakultät) zu verstehen sind – verfügen vor diesem Hintergrund über eine „koloniale Vergangenheit“, da koloniale Themen von Beginn des 20. Jahrhunderts bis weit in den Nationalsozialismus hinein eine kontinuierliche Rolle in Lehre und Forschung spielten.
Den „kolonialen Alltag“ an den Kölner Hochschulen prägten vor diesem Hintergrund vor allem kolonialwissenschaftliche Arbeits- und Forschungsschwerpunkte einzelner Disziplinen und Fachvertreter, ein regelmäßiges Angebot an „kolonialen Lehrveranstaltungen“ und öffentlichen Vortragsveranstaltungen zu kolonialen Themen sowie die Gründung kolonialer Arbeitsgemeinschaften und zentraler Einrichtungen wie der „Zentralstelle für Kolonialfragen“ oder dem „Akademischen Kolonialbund Köln“.
Die Ursprünge der wissenschaftlichen Beschäftigung mit kolonialen Themen gehen in Köln dabei auf die Wirtschaftswissenschaften zurück. Als 1901 die Städtische Handelshochschule als Ausbildungsstätte für den Nachwuchs aus Handel und Industrie ins Leben gerufen wurde, wurden koloniale Themen fest im Lehrplan verankert, um eben diesem Nachwuchs aus Handel und Industrie eines seiner potentiellen Arbeitsfelder – nämlich der Handel mit oder in den Kolonien – näher zu bringen und Interessen in diese Richtung gehend zu fördern. Neben den Wirtschaftswissenschaften beteiligten sich in Köln aber auch sehr aktiv die „klassischen“ Kolonialwissenschaften Geographie und Ethnologie, aber auch Disziplinen wie die Medizin, die Botanik, die Zoologie, die Rechtswissenschaft oder die vergleichende Sprachwissenschaft in diesem Kontext. Man beschäftigte sich mit der Wirtschaftsgeschichte Afrikas, mit der geographischen und kartographischen „Erschließung“ des Kontinents, mit anthropologischen und „rassekundlichen“ Fragestellungen, mit Tropenmedizin und Tropenhygiene, mit afrikanischen Nutzpflanzen und lehrte bereits Jahre bevor der Lehrstuhl für Afrikanistik in Köln gegründet wurde Swahili als eine der wichtigsten „Kolonialsprachen“. Übergreifendes Ziel dabei war es, vor allem Praxis-orientiertes Wissen zu generieren, das für das koloniale Projekt und damit für die Politik nützlich und dienlich sein könnte sowie den kolonialen Diskurs wissenschaftlich zu untermauern.
Allen „Anstrengungen“ in diesem Kontext war dabei der Glaube an die eigene Überlegenheit, eurozentrische und rassistische Denkmuster sowie eine ungeheure Wissenschaftsgläubigkeit gemein, die nicht nur Legitimationsgrundlage für das koloniale Projekt sowie für sich selbst war, sondern in diesem Zusammenhang auch dazu beitrug, sowohl das „Eigene“ als auch das „Andere“ erst zu produzieren bzw. zu reproduzieren und damit half, den kolonialen Diskurs mitzukonstituieren und zu verfestigen.