Entwicklungspolitik wird in der Politikwissenschaft auch als Außenpolitik mit anderen Mitteln begriffen. Doch nach welchen Kriterien bemisst sich diese besondere Form der Außenpolitik? Die Historikerin Bettina Fettich-Biernath von der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) befasst sich in ihrem laufenden Dissertationsprojekt genau mit dieser Frage. Sie kann dabei auf Quellen der Bonner Ministerialbürokratie sowie der bundesdeutschen Auslandsvertretungen zurückgreifen. Wir haben Sie zu Ihrem Thema: "Deutschland gibt: Zivile und militärische Entwicklungshilfe der Bundesrepublik an Afrika südlich der Sahara von 1956 bis 1974" um ein Interview gebeten.
Meine Dissertation fragt nach den Anfängen der bundesdeutschen Entwicklungshilfe
L.I.S.A.: Frau Fettich-Biernath, Sie forschen zurzeit über die Entwicklungshilfe der Bundesrepublik an Afrika. Dabei konzentrieren Sie sich auf das subsaharische Afrika und die Zeitspanne zwischen 1956 und 1974. Aus welchen Gründen haben Sie diese räumliche und zeitliche Eingrenzung vorgenommen?
Fettich-Biernath: Der Start bundesdeutscher Entwicklungshilfe lässt sich unterschiedlich datieren. Aufgrund meiner Fragestellung nach ihren Bedeutungen in auswärtigen Beziehungen habe ich den Ansatzpunkt 1956 gewählt. In diesem Jahr wurde ein sogenannter Entwicklungsfonds im Haushalt des Auswärtigen Amts eingesetzt. Die 50 Millionen DM zur „Festigung der Beziehungen der Bundesrepublik zu den Entwicklungsländern“ waren als bewusstes Zeichen gedacht, die Position des Auswärtigen Amts zu stärken. Entwicklungshilfe sollte demnach nicht Außenhandelsförderung, sondern Gestaltungselement auswärtiger Beziehungen sein.
Ausschlaggebend für die zeitliche und räumliche Eingrenzung ist auch, „zivile“ und „militärische“ Projekte in den Blick zu nehmen. Unter dem Label Ausrüstungshilfe wollte Bonn Unterstützung für Polizei- und Militäreinheiten der sogenannten Entwicklungsländer leisten. Ab 1960 nahm diese Hilfsform konzeptionell Gestalt an; ihre Vorläufe habe ich im Sudan bis ins Jahr 1957 zurückverfolgt. Bis dato liegen erst wenige Aufsätze vor, die sich über die Quellen der beteiligten Bundesressorts mit diesen Maßnahmen auseinandersetzen. Meine Dissertation fragt daher nach ihren Anfängen. Mir ist es zudem wichtig, die Regierung Brandt in den Untersuchungszeitraum einzubeziehen. Die SPD-Bundestagsfraktion attackierte die Hilfsform im Zuge der sogenannten Nahost-Krise Mitte der 1960er Jahre heftig. Danach konnte die Exekutive nicht mehr weitgehend unbehelligt über diese Hilfsform verfügen. Wie also gingen die Große Koalition und schließlich die sozial-liberale Koalition mit ihr um?
Der regionale Fokus ergibt sich aus der Frage, für welche Staaten die Bundesregierungen mehrere Hilfsformen vorsahen. In der ersten Hälfte der 1960er Jahre traf das insbesondere auf „Afrika südlich der Sahara“ zu. Die Lieferung eines Feldlazaretts an Jordanien oder die Ausstattung einer Militär-Musikkapelle in Bolivien konnte quantitativ nicht mithalten mit den Vorhaben in Afrika, insbesondere nicht mit der ersten schriftlichen Regierungsvereinbarung über Ausrüstungshilfe vom Dezember 1961. Sie wurde mit dem als „Brücke“ verstandenen Sudan zur Unterstützung seiner Streitkräfte abgeschlossen. Daneben erhielten Äthiopien, Guinea, Somalia und Tanganjika/Tansania die umfangreichsten Zusagen über Bonner Ausrüstungshilfe. Außerhalb Afrikas finden sich zu dieser Zeit durchaus weitere Empfänger; die Maßnahmen für Israel, die Türkei und Griechenland wurden jedoch einem anderen Begründungszusammenhang zugeordnet.