Die "erste" Gleichschaltung, wie Dr. Nils Havemann die Ereignisse bis 1934/35 bezeichnet, beschränkte sich im Wesentlichen auf die Auflösung von alten Landesverbänden sowie die Umstellung auf das "Führerprinzip" - ein Wandel der in einigen patriarchalisch-autoritär geführten Vereinen nicht nur auf Ablehnung stieß. Im Frühjahr 1936 folgte dann ein Wendepunkt und nach den Olympischen Spielen beschleunigte sich der Prozess der Unterwerfung. Doch wie genau drückte sich diese aus? Wie unterscheiden sich diese "beiden" Gleichschaltungen? Und welche Auswirkungen hatte der Ausschluss von Vereinsmitgliedern auf nicht-jüdische Mitglieder? Dr. Nils Havemann gibt auf diese und weitere Fragen in unserem Interview Antworten.
"Hohes Maß an ideologischer Linientreue"
L.I.S.A.: Herr Dr. Havemann, Sie differenzieren in Ihrem Aufsatz zwischen der "ersten" und "zweiten" Gleichschaltung deutscher Fußballvereine. Wie lassen sich diese beiden Phasen unterscheiden und wo sehen Sie den „Wendepunkt“ der Entwicklungen?
Dr. Havemann: Angesichts der großen Bedeutung, die der Sport schon damals besaß, strebte das NS-Regime nach der „Machtergreifung“ sofort danach, auch den Sport „gleichzuschalten“, um alle wichtigen gesellschaftlichen und politische Bereiche auf die NS-Ideologie auszurichten. Doch die „erste Gleichschaltung“, die sich zeitlich bis 1934/35 erstreckte, beschränkte sich im Bereich des vom Deutschen Fußball-Bund (DFB) organisierten „bürgerlichen“ Fußballs – von einigen regionalen und lokalen Besonderheiten abgesehen – zunächst auf die Auflösung der alten Landesverbände sowie die Umstellung des Vereinswesens auf das „Führerprinzip“. Letzteres war bei den allermeisten Funktionären insofern willkommen, als das vom Bürgerlichen Gesetzbuch vorgeschriebene Demokratieprinzip der Clubs in den Jahren zuvor häufig als Last empfunden worden war. Die meisten Vorsitzenden pflegten ohnehin einen patriarchalisch-autoritären Führungsstil, der sich bei den großen Vereinen im Übrigen noch bis in die 1980er Jahre beobachten ließ. Der eigentliche Wendepunkt, den ich die „zweite Gleichschaltung“ nenne, setzte erst im Frühjahr 1936 ein und hatte weitaus gravierendere Folgen für den Fußball wie für den Sport insgesamt. Während in den drei Jahren zuvor der DFB und seine Vereine große Freiräume in der Organisation ihrer sportlichen Wettbewerbe und der Führung ihrer Geschäfte genossen hatten, begann das NS-Regime am 23. April 1936 mit dem „Erlass über die Errichtung des Reichssportamtes“, den gesamten Bereich der Leibesübungen eng an sich zu ziehen. Der Prozess der Unterwerfung beschleunigte sich nach dem Ende der Olympischen Spiele. Zu spüren bekam dies nicht zuletzt das alte Führungspersonal im deutschen Fußball, das im Zuge zahlreicher Intrigen nach und nach seiner einflussreichen Stellungen enthoben oder seiner Zuständigkeiten beraubt wurde. Viele Personen, die bis 1936 den Ton im „bürgerlichen“ Fußball angegeben hatten, verschwanden allmählich von der Bildfläche oder wurden zu „Frühstücksdirektoren“ degradiert, die sich bisweilen mit ihren alten Titeln schmücken durften, aber ansonsten im Fußball kaum noch Gestaltungsspielräume hatten. Übrig blieben von der ehemaligen Garde nur jene Personen, die ein hohes Maß an ideologischer Linientreue an den Tag legten, aufgrund ihrer verwaltungstechnischen Erfahrungen unverzichtbar erschienen oder sich – wie beispielsweise Reichstrainer Sepp Herberger – in den zermürbenden Konflikten mit den ehrgeizigen Parteirepräsentanten listig zu behaupten wussten. Im organisatorischen Bereich machte sich die „zweite Gleichschaltung“ nicht zuletzt darin bemerkbar, dass der DFB und seine Vereine ihre kommerziellen Aktivitäten im Umfeld des deutschen Spitzenfußballs herunterfahren mussten und auch die Hoheit über ihre Spielprogramme weitgehend verloren, weil vor allem Begegnungen mit ausländischen Mannschaften außenpolitischen Erwägungen des NS-Regimes zu gehorchen hatten. – Übrigens wird in der Forschung der Terminus „bürgerlicher“ Sport verwendet für in ihrem Selbstverständnis weltanschaulich neutrale Organisationen; von diesen unterschied sich in der Weimarer Republik der von den Kirchen oder Linksparteien betriebenen Sport, der sich außersportlichen Zielen wie Glaube oder Klassenkampf verschrieben hatte.