Bei der diesjährigen Tour de France haben sich am Wochenende 176 Profi-Radfahrer auf den Weg gemacht, in drei Wochen insgesamt 3.480 Kilometer in 21 Etappen zu bewältigen. Die Faszination für diese enorme Leistungen ist allerdings seit Jahren getrübt von der Skepsis, die den Sportlern und den Teams entgegengebracht wird: Geht das alles mit rechten Dingen zu? Stichwort: Doping. Ungetrübt davon ist die neue Popularität, die das Fahrrad inzwischen im Alltag gewonnen hat. E-Bikes und Leihräder sind längst en vogue und gelten vor allem als umweltfreundliche Alternativen, um Distanzen zu überwinden - sei es den Weg zur Arbeit oder ins Schwimmbad. Nur ein Modetrend oder ein neu eingeschlagener Pfad in die Zukunft der Mobilität? Diese und andere Fragen haben wir dem Romanisten Prof. Dr. Frank Leinen von der Universität Düsseldorf gestellt, der im Zusammenhang mit der Tour der France einen Sammelband zu Kult und Kultur des Radfahrens herausgegeben hat.
"Vielfältige Einblicke auch in bislang wenig bekannte Dimensionen des Radsports"
L.I.S.A.: Herr Professor Leinen, Sie haben sich zuletzt aus kulturwissenschaftlicher Perspektive dem Radsport zugewandt und einen Sammelband dazu mit dem Titel "Vélomanie" herausgegeben. Warum haben Sie sich dieses Themas angenommen? Und was hat Radfahren mit einem Wahn, einer Manie zu tun?
Prof. Leinen: Es gab mehrere Impulse, die zur Entstehung des „Vélomanie“-Bandes geführt haben. Den äußeren Rahmen bot 2017 der Düsseldorfer Grand Départ der Tour de France, zu dem meine Kollegin, Sieglinde Borvitz, und ich eine öffentliche Ringvorlesung im Düsseldorfer Haus der Universität organisiert haben. Die Qualität der Vorträge und die ausgesprochen positive Resonanz der Veranstaltung ließen rasch das Projekt einer Publikation zum Thema „Radsport“ und „Tour de France“ entstehen, die auch andere Aspekte des Radfahrens – etwa seine Bedeutung als Kulturtechnik – berücksichtigen sollte. Gerade das interdisziplinäre Profil des Sammelbandes erlaubt es, vielfältige Einblicke auch in bislang wenig bekannte Dimensionen des Radsports zu gewinnen, seine Komplexität auszuloten und den Spuren nachzugehen, die er vor allem in der Kultur Frankreichs hinterlässt. Der Titel spielt mit der Doppeldeutigkeit von „Manie“ im Sinne von „Verrücktheit“: Ist für die Kritiker der Tour de France der Radsport eine verrückte Angelegenheit, der jegliche sportliche und ethische Legitimation abhandengekommen ist, so sind die Fans trotz aller Skandale immer noch regelrecht verrückt nach der „Raserei“, den Helden und den Dramen, die sich bei dem Rennen abspielen.