Studierende der Humboldt-Universität zu Berlin haben einen Blog eingerichtet, in dem sie nach eigenen Worten "in wöchentlichen Abständen kurze Zusammenfassungen seiner Vorlesung" veröffentlichen. Es handelt sich dabei um die Vorlesung des Berliner Politikwissenschaftlers Prof. Dr. Herfried Münkler über „Politische Theorie und Ideengeschichte“. Sowohl in den klassischen Medien als auch in den sozialen Netzwerken fallen die Reaktionen auf das Blog kontrovers und sehr emotional aus. Die einen sprechen von Rufmord, die anderen sehen im Blog ein legitimes Mittel, Kritik zu äußern. Wir haben die Geschichtsstudentin Charlotte Jahnz von der Universität Bonn, die auch als Community Managerin für das Blogportal www.de.hypotheses.org bei der Max Weber Stiftung arbeitet, um eine Einschätzung der Debatte über das Blog "Münkler-Watch" gebeten.
"Ich sehe den zentralen Konflikt im Bereich Anonymität im Internet"
L.I.S.A.: Frau Jahnz, Sie haben die Debatte um das umstrittene Blog „Münkler-Watch“ aus Sicht einer Geschichtsstudentin, aber auch als leidenschaftliche Bloggerin und Twitterin nicht nur beobachtet, sondern mitgeführt. Wo sehen Sie den zentralen Konflikt bzw. den entscheidenden Knackpunkt in der Diskussion um „Münkler-Watch“?
Jahnz: Ich denke, die Debatte hat sich stark von den Inhalten, um die es den bloggenden Studierenden ging, losgelöst, und zwar angetrieben von der Berichterstattung über das Watchblog. Das Blog hat am 8. Mai durch eine kurze Meldung bei Spiegel Online mit dem Titel „Historiker Münkler nennt Studenten ‚erbärmliche Feiglinge’“ erst die Aufmerksamkeit erhalten, die es jetzt hat. Die gesamte folgende Berichterstattung befasste sich in erster Linie mit der Frage, ob es legitim ist, dass die Studierenden ihre Kritik anonym bloggen. Die im Blog vorgetragenen Vorwürfe wurden dabei weniger beachtet. Ich sehe den zentralen Konflikt daher eher im Bereich Anonymität im Internet: Sind anonyme Akteure „erbärmliche Feiglinge“ oder nicht?
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Die erste - individuelle - betrifft Herfried Münkler, der durch mehr Transparenz die Vorwürfe gegebenenfalls entkräften könnte.
Die zweite - grundlegendere - Dimension betrifft die Öffnung von Hochschulen insgesamt. Für mich steht es außer Frage, dass eine mit öffentlichen Mitteln finanzierte Leistung an einer öffentlichen Hochschule auch allgemein zugänglich sein muss. Im Sinne von Transparenz, Teilhabe und Inklusion sind Veranstaltungen, die nur einem exklusiven Kreis von Eingeweihten zugänglich sind indiskutabel. Dass dabei nicht selbstverständlich davon ausgegangen werden kann, dass jede*r Lehrende jede seiner*ihrer Veranstaltungen filmt und ins Netz stellt, sollte aber auch klar sein. Auf welche Weise, in welchem Umfang und wo dies geschieht, bedarf der Klärung in der Scientific Community. In jedem Falle sehe ich mehr Transparenz und Sichtbarkeit als große Chance für die Wissenschaft, in der Gesellschaft wirksam zu werden und begrüße einen Dialog über diese Fragen. Wenn Münchner-Watch solch einen Dialog anstoßen kann, wäre das doch ein (wenngleich wohl nicht intendierter) Erfolg!
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Unbedingt beipflichten möchte ich meinem Kollegen Oliver Hülden, dass die Aufzeichnung von Vorlesungen nicht unbedingt die vermeintliche Transparenz vergrößert. Vielleicht ist es sogar eine Frage, die das Präsidium einer Universität zu entscheiden haben wird: An welche „Öffentlichkeit“ richten sich denn die Vorlesungen? Ist es so ohne weiteres vorgesehen, die Leistung der Vorlesungen für jedermann online zu stellen? Werden nicht Vorlesungsmitschriften in der Regel auch nur denjenigen als Skripte zur Verfügung gestellt, die in der Vorlesung sitzen? Da sind sicherlich eine ganze Reihe von Folgefragen zu klären. Den Mehrwert von aufgezeichneten Vorlesungen schätze ich vorsichtig als marginal ein. Selbstverständlich wissen wir alle, dass jederzeit – auch aus dem Zusammenhang gerissene – kleine Videosequenzen von uns in den Lehrveranstaltungen auftauchen können. Aber eine Aufzeichnung einer Lehrveranstaltung wird sicherlich den Duktus verändern... nicht inhaltlich, sicher aber die Nähe, die Form, das informelle und mitunter flapsige, das gut tut, wenn man Wissen, Umgang mit Quellen oder Forschungsdiskursen vermitteln möchte.
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Die erhobenen Vorwürfe bilden denn auch gar keine Diskussionsgrundlage, da sie quasi als Tatsachenbehauptungen daherkommen – und wer will schon mit einem Rassisten, Sexisten und Militaristen diskutieren. Und da liegt auch der Knackpunkt: Irgendwelche Leute mit einem ziemlich festgefügten und einseitigen Weltbild, die in ihrem Blog zudem ständig die normative und die analytische Ebene durcheinanderbringen, stellen diffamierende Behauptungen auf, weil jemand ihrem Weltbild nicht entspricht. Es ist nämlich schon etwas anderes, freundlich den Professor in einer Vorlesung darauf hinzuweisen oder von mir aus auch darauf zu drängen, ob man die eurozentrische Perspektive nicht mal für eine Sitzung aufgeben kann oder ob man jemanden öffentlich als Rassisten beschimpft. Die ganze Aktion, die ja an der HU auch schon diverse Vorgeschichten hat, zeigt Züge, die der Freiheit der Lehre diametral widersprechen und ansonsten von einem falschen Verständnis von Pluralismus und Demokratie sowie von schlechten Umgangsformen zeugen. Hier soll nämlich einem Professor in ziemlich dreister Weise vorgeschrieben werden, was er nach Vorstellung der so genannten Kritiker in seiner Veranstaltung sagen darf und was nicht.
Dann noch eine Anmerkung zum Thema Transparenz: Also gerade Herfried Münkler, der gefühlt alle zwei Wochen seine durchaus kontrovers diskutierbaren Sichtweisen in irgendeinem Medium ausbreitet und sich damit auch unterschiedlichster öffentlicher Kritik aussetzt, den braucht man jetzt wirklich nicht noch dadurch transparent machen, dass man ihn unter Videobeobachtung stellt, ob er Carl Schmitt auch richtig oder falsch interpretiert. Menschen in diesem Land regen sich teilweise schon darüber auf, dass sie über einen Platz laufen müssen, wo eine Videokamera hängt, und wir hängen demnächst in jeden Hörsaal eine rein. Ich finde, dass muss jede Dozentin und jeder Dozent schon selbst entscheiden, ob sie/er das möchte oder nicht.
Schließlich eine letzte Bemerkung: Vieles von dem, was Frau Jahnz ausführt, ist richtig und bedenkenswert, ich denke nur, dass es mit dem, was die „Kritiker“ von Herrn Münkler im Schilde führen, eher am Rande etwas zu tun hat. Denn beispielsweise über die angesprochenen Optimierungszwänge, über die muss man tatsächlich reden. Und zwar in dem Sinne, was wir mit diesem Zwang zur Produktion von „Abziehbildern“, die alle denselben CV aufweisen, den jungen Menschen und letztendlich der Gesellschaft antun. Frau Jahnz beweist ja, dass man als Student dazu öffentlich seine Meinung unter eigenem Namen kundtun kann. Das ist auch gut so, und schaden wird es ihr mit Sicherheit nicht, auch wenn sich bisweilen mal jemand an ihren Ansichten stören sollte.
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Dass die Argumente der Bloggenden inhaltlich eher wenig Substanz zu haben scheinen (erst wird etwas behauptet und dann auf Münklers Entgegnung zurück gerudert) ist das eine. Vor allem aber ist doch zu beachten, dass es sich hier um Studierende der Sozial- und Politikwissenschaften (!) handelt und um den vergleichsweise geschützten Raum einer Universität. Im Gegensatz zu Bloggern beispielsweise im "Arabischen Frühling" müssen Studierende NICHT um ihr Leben fürchten, wenn sie abweichende Meinungen vertreten. Herr Prof. Münkler ist auch nicht der Arbeitgeber der Studierenden. Dass Studierende durch Kritik ihre "Karrierechancen" (= das bemerkenswerte Hauptargument der Blogger für die Anonymität gegenüber dem Tagesspiegel) gefährden würden, halte ich für eine reine Schutzbehauptung. Ich habe an der Universität gänzlich andere Erfahrungen gemacht, nämlich die, dass Lehrende Studierende mit Mut zur eigenen Meinung schätzen und zwar auch dann, wenn diese politisch andere Auffassungen vertreten. Es kam lediglich darauf an, nicht nur Meinungen kund zu tun, sondern die eigene Position auch begründen zu können.
Wenn Studierende dazu übergehen würden, innerhalb der Universität die braven und stillen Mäuschen zu sein und stattdessen die Kritik in einen anonymen außeruniversitären Raum verlagern, dann wäre das ein Warnsignal. Dann verfehlt die Universität ihren Auftrag, Studierende nicht nur fachlich, sondern auch charakterlich zu bilden und den offenen Austausch von Ideen und Argumenten zu befördern.
PS: Zugute halten kann man den Blogger_innen sicher, dass sie versuchen, die Grundlagen der Vermittlung von "Ideengeschichte" zu hinterfragen. Wenn ich aber daran denke, dass sich Studierende auf diese Art - Vermeidung offener Kommunikation und des transparenten Einstehens für die eigene Position und stattdessen anonyme und tendenziell denunziatorische Kritik im Web - auf ihre "Karriere" vorbereiten, dann würde ich mir diese Menschen später jedoch eher nicht als Kolleg_innen wünschen.