Vom Vorreiter des filmischen Expressionismus in den 1920er Jahren zum Propaganda-Instrument im Nationalsozialismus – der deutsche Film hat in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine wechselvolle Geschichte durchlebt. Wenig erforscht ist dabei die Bedeutung der Schauspielerinnen und Schauspieler selbst. Diese erreichten mit zunehmender Beliebtheit des Mediums Film erstmalig das, was heute selbstverständlich erscheint: als Stars verehrt zu werden. Warum wurden bestimmte Filmstars zu je spezifischen Zeiten populär? Welche Schlüsse lassen sich daraus für die Gesellschaft ziehen, der sie entstammten? Dr. Pablo Dominguez Andersen hat sich diesen Fragen in seiner Dissertation gewidmet. Darin hat er herausgearbeitet, wie Filmstars des deutschen Kinos historische Diskurse buchstäblich verkörperten. Wir haben ihm dazu unsere Fragen gestellt.
"Filmstars waren zentral für die Neuverhandlung der deutschen Identität"
L.I.S.A.: Herr Dr. Dominguez Andersen, Sie haben sich mit Spielfilmen der Weimarer Republik und des Nationalsozialismus beschäftigt – genauer gesagt, mit der Bedeutung von Filmstars für Konzepte von Nation, Geschlecht und „Rasse“. Warum haben Sie sich für die Perspektive auf Filmstars entschieden?
Dr. Dominguez Andersen: Ich habe mir ein Thema ausgesucht, das in dieser Form bisher noch nicht bearbeitet worden ist. Zum einen ist die Forschung zu Filmstars der Weimarer Republik erstaunlich dünn, obwohl das Weimarer Kino zu den am besten erforschten Epochen der Filmgeschichte gehört – und obwohl wir wissen, dass Filmstars eine riesige Bedeutung für die Menschen in den 1920er Jahren hatten. Die Forschung zu Stars im NS-Kino ist zwar etwas weiter. Es gab aber bisher keine Arbeiten, die männliche Stars untersuchen. Von der Auseinandersetzung mit männlichen Filmstars habe ich mir neue Erkenntnisse für die Geschlechtergeschichte des Nationalsozialismus erhofft. Denn während wir über das im NS hegemoniale Ideal des soldatischen Mannes mittlerweile einiges wissen (wenn auch noch zu wenig), ist kaum etwas über davon abweichende Männlichkeitsentwürfe bekannt.
Drittens ist meine Dissertation die erste Arbeit, die Filmstars in Deutschland aus einer intersektionalen bzw. postkolonialen Perspektive untersucht. Die bestehende Forschung beschränkt sich in der Regel auf die Analysekategorie Geschlecht und hat kaum etwas zu sagen über Stars als Kristallisationspunkte von Vorstellungen über Nation und "Rasse". Mein Ziel war es hier, aufzuzeigen, dass die Weimarer Republik und der Nationalsozialismus sich durch eine postkoloniale Popkultur auszeichneten. Tatsächlich hat sich gezeigt, dass beide Gesellschaften obsessiv beschäftigt waren mit der Repräsentation eines als "rassisch" oder ethnisch fremd markierten Anderen. Und im Reden und Phantasieren über dieses Andere stellte sich die weiße deutsche Identität, die durch den verlorenen Weltkrieg und das Ende des Kolonialreiches fundamental in Frage gestellt worden war, wieder her. Filmstars kam innerhalb dieser Neuverhandlung eine zentrale Rolle zu.
Postkolonial war diese Popkultur insofern, als dass die Stereotype, die hier produziert wurden, überwiegend aus der Zeit deutschen Kolonialismus stammten. Im Kino wurden diese aus dem Kolonialismus stammenden Phantasien über die Überlegenheit einer weißen deutschen Kultur symbolisch über das Ende der Kolonialzeit hinaus in die nachkoloniale Gegenwart verlängert, in welcher die Machtverhältnisse sich eigentlich verändert hatten. Im Prinzip hat das auch schon Siegfried Kracauer erkannt, dem ja immer nachgesagt wurde, er habe das Weimarer Kino im Nachhinein darauf reduziert, teleologisch auf Hitler zuzulaufen. Diese Erkenntnis von Kracauer blieb also verschüttet und bis in die jüngste Zeit ist nie untersucht worden, wie genau diese Phantasien aussahen und was sie über die deutsche Gesellschaft zu dieser Zeit aussagen.