Paul Klee wird von seinen Bewunderern als eine Lichtgestalt verehrt, als ein Genie, das seiner Zeit enthoben und der Welt entrückt war. Diese nahezu abgöttische Verehrung eines Künstlers ist an sich nichts besonderes, hätte nicht der Künstler selbst bereits zu Lebzeiten an dieser Verehrung einen wesentlichen Anteil gehabt. Paul Klee selbst hatte zeitlebens an seinem eigenen Mythos intensiv mitgearbeitet, so die These des Soziologen und Kunsthistorikers Prof. Dr. Manfred Clemenz. Diesen Mythos biographisch und kulturgeschichtlich zu dekonstruieren und Paul Klee als einen Menschen mit Höhen und Tiefen darzustellen, ist das Ziel seines Buchs "Der Mythos Paul Klee". Wir haben ihm dazu unsere Fragen gestellt.
"Paul Klee wurde geradezu als Übermensch gefeiert"
L.I.S.A.: Herr Professor Clemenz, Sie haben eine neue Biographie über den Künstler Paul Klee vorgelegt. Es ist nicht die erste Biographie, die über Paul Klee erschienen ist. Warum haben Sie sich diesen Künstler zum Thema gemacht? Welche Frage hat Sie dabei vor allem geleitet?
Prof. Clemenz: Zunächst einmal ist Paul Klee für mich ein großartiger Künstler – mit einem tragischen Schicksal: Anfeindungen durch die Nationalsozialisten, Emigration, langjährige, letztlich tödlich Krankheit, die damals noch nicht erkannt, geschweige denn therapiert werden konnte. Gestört hat mich bei meiner Beschäftigung mit Klee allerdings zunehmend dessen verklärende Rezeption durch seine Bewunderer, hinter der die Person Klees kaum mehr erkennbar war.
Jahrzehntelang wurde an der „Heiligsprechung“ Klee gearbeitet, er wurde geradezu als Übermensch gefeiert: er weiß alles (Will Grohmann) und kann alles, ist „mehr als ein Mensch“ (Werner Haftmann). Seit den achtziger Jahren gibt es vermehrt kritische Stellungnahmen (vor allem durch O.K. Werckmeister und Christine Hopfengart), die jedoch jeweils nur einzelne Aspekte oder Themen beleuchten. Ich habe versucht, einen kritischen Überblick über die verschiedenen Themenbereiche bei Klee zu vermitteln: sein Werk, seine Person (wozu auch sein Gesellschaftsbild, sein schwieriges Verhältnis zu Frauen und seine Krankheit Sklerodermie gehören), zeitgeschichtliche Zusammenhänge und nicht zuletzt die problematischen Beziehungen zu seinen Künstlerfreunden (insbesondere zu Franz Marc, dem er nur den „Erdgedanken“ konzediert, während er den „Weltgedanken“ repräsentiert).