Bald nach dem sogenannten Anschluss Österreichs ans Deutsche Reich erfolgte 1938 auch dort der Ausschluss jüdischer Mitglieder aus Sportvereinen des Landes. Exemplarisch für diese Praxis hat die Historikerin Agnes Meisinger vom Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien die NS-Geschichte des Wiener Eislauf-Vereins untersucht. Noch bis zuletzt hatte der bürgerliche Verein seine Verstrickung in den Nationalsozialismus verschwiegen. Ihre Ergebnisse hat Agnes Meisinger im Band "Sport im Nationalsozialismus" veröffentlicht. Wir haben ihr dazu unsere Fragen gestellt.
"Verein schrumpfte nach Ausschluss jüdischer Mitglieder auf die Hälfte"
L.I.S.A.: Frau Meisinger, Sie haben im Band "Sport und Nationalsozialismus", herausgegeben von Prof. Dr. Frank Becker und Dr. Ralf Schäfer", eine Spezialstudie über den Wiener Eislauf-Verein (WEV) in der Zeit des Nationalsozialismus publiziert. Bevor wir zu Einzelheiten kommen, was ist die leitende Fragestellung bzw. die zentrale These Ihrer Studie?
Meisinger: Die von Ihnen angesprochene Studie ging aus einem Forschungsprojekt zur nunmehr 150-jährigen Geschichte des Wiener Eislauf-Vereins hervor, das am Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien angesiedelt ist und kurz vor seinem Abschluss steht. Die Abschlusspublikation, ein Gesamtwerk zur Geschichte des WEV von 1867 bis 2017, wird im Herbst dieses Jahres erscheinen.
Obgleich der im Jahr 1867 gegründete Verein eine Vielzahl großer sportlicher Erfolge zu verzeichnen hat, geht es bei der Aufarbeitung seiner Historie selbstverständlich auch darum, den Verein in einem größeren Kontext gesellschaftlicher und politischer Entwicklungen darzustellen. Es ist ja keine neue Erkenntnis, dass Sportgeschichte auf vielfältige Weise mit politischer Geschichte, der Geschichte von Alltagskulturen, mit Stadtgeschichte etc. verknüpft ist. Insbesondere für die Zeit des Nationalsozialismus lässt sich ein derart erfolgreicher und mitgliederstarker Sportverein wie der WEV als Prisma für die drastischen politischen und gesellschaftlichen Veränderungen zwischen 1938 und 1945 begreifen.
Meine zentrale Frage war, in welcher Form NS-Ideologie, Antisemitismus und Rassismus als Teil des Vereinslebens praktiziert wurden und wer die zentralen Akteure dieser Praxis waren. Vor dem Hintergrund des Ausschlusses der jüdischen Mitglieder im Jahr 1938, die den Verein auf die Hälfte seiner Größe zusammenschrumpfen ließen, und den sozioökonomischen Veränderungen während der Kriegsjahre interessierte mich darüber hinaus, wie unter diesen Bedingungen die Aufrechterhaltung des Sportbetriebes gelingen konnte.