Ob Histodrama, historische Serie oder Dokumentation - die Vergangenheit ist in unserer öffentlichen Wahrnehmung allgegenwärtig. Doch wie wird in Dokumentarfilmen mit Biografien umgegangen? Welche Rolle spielt die Erinnerung? Wie wird zwischen kollektiver und individueller Erinnerung unterschieden? Dr. Bianca Herlo beschäftigte sich im Rahmen ihrer Dissertation mit dem "biografischen Dokumentarfilm" und untersuchte unter anderem wie auf der einen Seite Vergangenheit verhandelt, auf der anderen Seite jedoch auch Gegenwart und Zukunft beeinflusst werden. Wir haben der Medienwissenschaftlerin dazu unsere Fragen gestellt.
"Spannungsfeld zwischen der Mikro- und Makrogeschichte"
L.I.S.A.: Dr. Herlo, Sie beschäftigten sich im Rahmen Ihrer Dissertation mit dem Erinnern und dem Erzählen im biografischen Dokumentarfilm. Sowohl für den Themenkomplex der Erinnerungskultur als auch für filmtheoretische Untersuchungen lässt sich jedoch festhalten, dass diese bereits breit rezipiert und betrachtet wurden. Inwieweit schließt Ihre Arbeit dennoch eine Forschungslücke?
Dr. Herlo: Der Themenkomplex der Erinnerungskultur wurde in der Tat film- und kulturwissenschaftlich ausführlich bearbeitet. Dennoch lässt sich feststellen, dass umfangreiche Arbeiten zu Geschichte und Theorie des Dokumentarfilms und Korpusanalysen zu einzelnen Epochen oder Zugängen unterrepräsentiert sind. Der Dokumentarfilm steht als Gattung generell und die Funktionen des Dokumentarfilms als Medium der Erinnerungsarbeit im Schatten des Spielfilms.
Der zeithistorische biografische Dokumentarfilm als eine Spielart des Dokumentarfilms ist in seinen ästhetischen und erinnerungskulturellen Dimensionen wenig erforscht. Bislang fehlte eine systematische Analyse dieser Subkategorie, wie auch ihre Einordnung in kulturgeschichtliche Zeiträume. Dieser Aufgabe habe ich mich in meiner Arbeit gewidmet. Denn der zeithistorische biografische Dokumentarfilm steht in einem spezifischen Spannungsfeld zwischen der Mikro- und Makrogeschichte, zwischen historischen Fakten, subjektiver Erinnerung und deren Kontextualisierung im Raum der Produktion wie der Rezeption. Mir ging es vor allem um seine Rolle als Medium der politischen Aufklärung, der Gegenöffentlichkeit und als epistemisches Instrument für Geschichtswissenschaft, Soziologie und Kulturwissenschaft.
Demnach habe ich einen interdisziplinären Ansatz verfolgt, der bestehende dokumentarfilmische und kulturwissenschaftliche Ansätze zu Erinnerung und Gedächtnis miteinander verbindet, zwei sonst getrennte Wissensgebiete. Mit diesem Ansatz konnte ich mir über die Wechselwirkungen zwischen Darstellung, medialer Vermittlung, Interpretation und Wahrnehmung von Geschichte und die implizierte Politisierung durch den biografischen Dokumentarfilm einen Überblick verschaffen. Es war mir dabei wichtig, die ästhetischen Verhandlungen und damit die Rolle, die Filmemacher*innen und Gestalter*innen für die Erinnerungskultur einnehmen, zu ergründen. So bietet meine Arbeit ganz viele Anknüpfungspunkte für Forschungsarbeiten zu Theorie und Geschichte des Dokumentarfilms ebenso wie für eine systematische Ausdehnung des Erinnerungsbegriffs auf mediale Darstellungen.
Die Erinnerungskultur und ihre Rolle wird von der Kulturwissenschaft seit einigen Jahren neu befragt (Assmann 2016). Wie wird sie zukünftig fortgeführt, wie gestalten wir sie? Umso wichtiger erscheint mir eine interdisziplinäre Hinwendung zu den Repräsentationen und medialen Transformationen innerhalb des Interesses an individuellen und auch inoffiziellen Erinnerungen.